4. Februar 2020

Hut ab, Mr. Rian Johnson!

Kritik, Pro & Contra - »Knives Out – Mord ist Familiensache«
Hut ab, Mr. Rian Johnson!

Knives Out

 

Agatha Christie-Hommage oder schamlose Kopie? Die Redaktion des Kinokalender Dresden ist sich uneins. Kleine Spoilerwarnung, das Contra bitte nicht bis zu Ende lesen, unser Autor gibt einen kleinen Hinweis für die Auflösung der Geschichte.

 

Pro

Was für ein grandioser Film, was für ein faszinierender Plot! Einer der besten Filme, die ich zuletzt gesehen habe. Kives Out hat Atmosphäre, ist dicht und raffiniert erzählt. Ein intelligenter Film mit völlig unverhofften Wendungen und feinem britischen Humor. Dazu noch eine garstige, amüsante Gesellschaftssatire. Mit Christopher Plummer, Daniel Craig, Jamie Lee Curtis, Toni Colette und dem immer noch gut aussehenden Don Johnson hochkarätig besetzt. Ein wunderbar britischer, eleganter Thriller. Bis zur letzten Minute ein spannendes Katz-und-Maus-Spiel, das großen Spaß macht. 

Worum gehts? Auf seinem protzigen Anwesen thront der renommierte Krimiautor Harlan Thrombey (Christopher Plummer - Alles Geld der Welt). In der Hand eine Tasse mit dem proklamatischen Text: My house. My rules. My coffee, womit die Gesamtsituation der Familie grob umrissen ist. Am Abend feiert er seinem 85. Geburtstag. Am nächsten Morgen ist er tot. Klarer Selbstmord stellen die örtlichen Polizisten klar. Benoit Blanc (Daniel Craig - James Bond), ein privater Ermittler, von dem keiner weiß, wer ihn überhaupt engagiert hat, sieht das anders. 

Weder die Familie noch das Personal will irgendwas gesehen haben. Kaum einer ist bei der Aufklärung eine Hilfe. Die meisten lügen ihm unverhohlen ins Gesicht. Warum? Besonders harmonisch scheint die Party am Vorabend nicht gelaufen zu sein. Jeder hat sein Geheimnis. Abgründe tun sich auf. Es dauert nicht lange und jeder ist verdächtig. 

Ohne zu viel zu verraten, der alte Patriarch sah am Vorabend seines Ablebens vor, seinen Nachlass zu regeln. Raffiniert: Während sich der private Ermittler noch in falsche Fährten versteigt, sieht der Zuschauer bereits in Rückblenden, was sich tatsächlich zugetragen hat. Obwohl es sich die Dramaturgie damit schwer macht, gelingt es, am Ende mit einer Auflösung zu überraschen, mit der dennoch niemand gerechnet hat. 

Beklemmend die Atmosphäre und visuell mit vielen Details im Haus packend umgesetzt, als sich die Familie der vermeintlich begünstigten Figur im Spiel an die Fersen heftet, ihr bedrohlich Druck macht und sich an anderer Stelle scheinheilig einschleimt. Grandios auch der imposante Messer-Stuhl oder besser Thron, den sich Harlan Thrombey als berühmter Autor anfertigen ließ, der nun symptomatisch als Verhör-Stuhl für jeden einzelnen dient. Man hat das Gefühl, jeder würde dem anderen eiskalt ein Messer in den Rücken rammen, um die Lage für sich zu retten.

Wunderbar ist auch die Figur der Großmutter, also der Mutter der schon 85-jährigen Leiche, was an sich schon absurd ist, die während der gesamten Handlung keinen einzigen Text hat, nur gespenstig dasitzt aber im entscheidenden Moment gehässig grinst. 

In feinster Hercules Poirot-Manier  (»Star Wars«- Regisseur Rian Johnson ist ein großer Agatha Christie-Verehrer) rekonstruiert Herr Craig zum Schluss brillant die komplette Farce. 

Ganz am Ende hören wir den wunderbar lässigen Song „Sweet Virginia“ von den Rolling Stones. Dazu die Schluss-Szene:  Eine Lady auf dem Balkon. Im Bademantel. 

In der Hand die Tasse: My house. My rules. My coffee. »Knives Out« - ein Meisterwerk! BSC

 

Semi-Contra

Hut ab, Mr. Rian Johnson! Nach ihrem mutigen Ausflug ins »Star Wars«-Universum (»Die letzten Jedi«), der nicht jedem eingefleischten Skywalker-Fan geschmeckt hat (Mark Hamill eingeschlossen), haben Sie nun wieder ein kreatives Drehbuch in Eigenregie verfasst und daraus einen Film kreiert, der sich sogleich zu einem beachtlichen Kassenschlager entwickelt hat. Kein Wunder bei der Besetzung! Ex-Bond in spe Daniel Craig, Jamie Lee Curtis, Don Johnson, Toni Collette, Chris Evans, Michael Shannon, Christopher Plummer und Guckschatz Ana de Armas sind nur einige der Stars, die in der wendungsreichen Krimifarce mit sichtlich Spaß mitwirken.

Die Freude an der Übertreibung überträgt sich sogleich auch mühelos aufs Publikum, das herzlich eingeladen ist mitzurätseln, um den überraschenden Tod des Hausherrn und Familienpatriarchen, der am Morgen nach seinem 85. Geburtstag mit aufgeschlitzter Kehle in seinem Bett liegt, aufzuklären. Aber wie handhabte es schon Suspense-Meister Hitchcock? Der Zuschauer sieht nur das, was der Regisseur ihm erlaubt zu sehen. Alles andere bleibt den Zeugen vor der Leinwand verborgen – und damit zunächst ebenso die eine oder andere falsche Fährte.

Das geht so lange gut, wie alle Figuren gleichberechtigt in die Geschichte integriert sind. Fällt eine Person mit seinem Verhalten jedoch komplett aus dem Rahmen, droht die zuvor sorgfältig konstruierte Scharade durchschaubar zu werden. Auftritt Chris „Captain America“ Evans alias Sohnemann Ransom: Wenn ein Charakter so offensichtlich sein eigenes Ding macht, auf Familienbeziehungen keinen Wert legt und Freude daran hat, allen verbal und optisch den Stinkefinger entgegenzustrecken, wird schnell klar, dass dieser Bursche etwas zu verbergen hat. Statt diesen Verdacht beim Publikum im weiteren Verlauf aber genüsslich zu widerlegen, belässt es Regisseur/Autor Johnson dabei – und die finale Auflösung bleibt enttäuschend überraschungsarm.

Was also hat die vielen Hollywood-Größen dazu bewogen, in diesem beinahe alltäglichen TV-Krimi-Plot mitzuwirken? Mein Verdacht: Es sind all jene Stars, für die in der 2017er-Neuverfilmung von »Mord im Orient Express« kein Platz mehr war. Machen sie halt ihren eigenen „Whodunit“-Streifen mit nahezu identischer Prämisse, anderer Location und einem Detektiv, der statt mit französischem nun mit Südstaaten-Akzent seine Verdächtigen nervt (zumindest in der Originalsprachversion).

Stellt sich anschließend nur noch die Frage, ob »Knives Out« auch ohne Craig, Curtis & Co. so dermaßen erfolgreich geworden wäre? Oder provozierender formuliert: Wer von euch ist denn ins Kino gegangen, weil die Geschichte (nicht die Besetzung!) so außergewöhnlich klang? Siehste!

Csaba Lázár

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