28. Februar 2019

Welche Form von Irrsinn ist das denn?

Kritik, Pro & Contra – »The Favourite – Intrigen und Irrsinn«, ein krasses Spiel um Liebe und Machtfülle
Welche Form von Irrsinn ist das denn?

Welche Form von Irrsinn ist das denn? Yorgos Lanthimos sorgt erneut für Aufsehen und von Oscars bis massiven Unverständnis ist alles wieder möglich. Einer wurde es immerhin. Was sagen unsere Autorinnen dazu?

Pro

Drei Frauen und ein krasses Spiel um Liebe und Machtfülle: Der Schauplatz von Yórgos Lánthimos neuem Film ist das England des beginnenden 18. Jahrhunderts. Olivia Colman ist Queen Anne, gezeichnet nicht nur von 17 Geburten und dem frühen Tod ihrer drei überlebenden Kinder, sondern auch von der Gicht, dem Leiden der Reichen, gezeichnet auch vom Überdruss am Überfluss. Rachel Weisz als Sarah Churchill, Herzogin von Marlborough ist ihre Geliebte aus alter Kinderfreundschaft und  politischem Kalkül. Eine gut ausbalancierte Win-Win-Situation, bis Abigail (Emma Stone) dazu stößt, die verarmte und missbrauchte Cousine Sarahs, bewegt von dem unbeugsamen Willen, nach oben zu kommen. Zäh arbeitet sie am Aufstieg, zunächst mit Hilfe ihrer einflussreichen Cousine, dann gegen sie. Die Königin genießt die Abwechslung des Ränkespiels, spielt die beiden Rivalinnen gekonnt gegeneinander aus, ist aber immer auch Leidtragende. Lanthimos spitzt die absurden Rituale des englischen Hochadels auf beunruhigend unterhaltsame Weise zu und kontrastiert das opulente historische Setdesign, die bis in den Trash getriebenen Kostüme der Zeit mit dem Slang der Gegenwart. Das ist nicht der einzige Kunstgriff, um anhand eines historischen Beispiels epochenübergreifende Auswüchse vorzuführen. Lustvoll präsentiert Lanthimos Dekadenz: Entenrennen, Apfelsinenschlacht, Dachs-Make-ups, schimmelgrüne Kuchenglasur, rot zugespachtelte Herren-Bäckchen, turmhohe instabile Lockenpracht. Sinnentleerte, schillernde Oberflächen, dahinter wenig Substanz, aber viel kriminelle Energie. Dem Intrigendreck in den Schloss-Etagen entspricht die knietiefe Scheiße auf den Straßen – und immer wird jemand hinein gekickt.

Das Trio der drei großen Schauspielerinnen steht konsequent im Zentrum und brilliert mit der Darstellung souveräner Infamie, die immer wieder von echten Gefühlen durchlöchert wird. Die flankierenden  Männer sind allenfalls Perückenträger und Steigbügelhalter – doch in ihrer schieren Masse verbildlichen sie wirkungsvoll den riesigen gesellschaftlichen Druck, der auf den einflussreichen Frauen lastet. 

Yorgos Lanthimos (»The Killing of a Sacred Deer«, »The Lobster«) ging bisher noch als sehr bekannter Independent-Regisseur durch. Seit dem durchschlagenden Erfolg von »The Favourite – Intrigen und Irrsinn« muss er sich vorwerfen lassen, dass er in Richtung Mainstream unterwegs ist. Zu bemeckern, dass diese kunstvolle Persiflage gesellschaftlicher Auswüchse und Verwerfungen ein Massenpublikum erreicht – welche Form von Irrsinn ist das denn? 

Grit Dora

 

Contra

Als großer Freund amerikanischer Filme habe ich mir »The Favourite - Intrigen und Irrsinn« angesehen. Die Amerikaner können Atmosphäre schaffen, Licht setzen und gute Soundtracks finden. Dazu verspricht der Plot eine interessante Geschichte und Intrigen machen eine Story per se spannend. An eine USA/GB/Irland-Koproduktion hatte ich ganz ähnliche Erwartungen. Das Ergebnis indes war in jeder Hinsicht sehr ernüchternd - fand ich.  

 

Kurz zum Inhalt. Im frühen 18. Jahrhundert regiert Königin Ann (Olivia Colman - »Hydepark am Hudson«). Sie leidet unter schwerer Gicht, ist in ihrer Persönlichkeit wenig repräsentativ, manipulierbar und mitunter cholerisch. Eine Reihe furchtbarer Schicksalsschläge kommen noch hinzu und lassen sie selten Freude empfinden. Trotzdem regiert sie klug im Krieg mit Frankreich und führt auch England und Schottland wieder zusammen. Ihre enge Vertraute am Hof ist Sarah (Rachel Weisz - »Brothers Bloom«) und bereits am Anfang kommt Abigail (Emma Stone - »LalaLand«) hinzu. Sarah agiert als herrische Schnalle und Abigail kommt als ruhige, freundliche Gehilfin daher. Allein ob ihrer Art gewinnt sie zunächst Ann’s Gunst. Später wird sie Sarah kaltstellen.

 

Schon zu Beginn des Filmes habe ich ein seltsames Gefühl. Die Kameraeinstellung bleibt für gefühlt Stunden in Kniehöhe und filmt in Richtung Zimmerdecke. Wahrscheinlich ein stilistisches Mittel, das die Perspektive der Königin aus ihrer häufigen Position im Sitzen und im Rollstuhl wiedergeben soll, die allerdings deutlich weiter oben wäre. So war es eher der Blickwinkel eines Dackels. Dazu kommen Weitwinkeleinstellungen, von denen mir fast schwindlig wurde. 

Zwischen den Kapiteln wird wie beim Stummfilm ein Text eingeblendet, deren Schrift zum Teil derart auseinandergezerrt ist, dass man Mühe hatte, ihn bis zu Ende zu lesen, bevor er wieder verschwunden ist.

 

Manche Szenen werden von einem enervierenden Geräusch begleitet, das sich mit einem nicht weniger nervendem Ton abwechselt. Plötzlich gibt es für sehr wenige, kurze Momente die schönste Barockmusik. Über sehr lange Strecken im Film gibt es aber gar keinen Soundtrack. Sicher auch ein stilistisches Mittel, wodurch der Zuschauer das beklemmende und freudlose Dasein der Königin nachempfinden soll. Für einen 2-Stundenfilm finde ich es dann doch etwas zu leblos. Und auch ungewohnt für einen Kostümfilm. Das eine oder andere Requiem hätte sich auch für die ernüchternde Atmosphäre bei Hofe finden lassen.

 

Direkt erschrocken war ich über gelegentliche, vulgäre Szenen und Dialoge. Man denkt, das sollte jetzt wohl als lustig gelten. Für mich zog das eher ein Gefühl von fremdschämen nach sich.

Entsprechend war auch die Reaktion im Publikum. Regisseur Yorgos Lanthimos wollte „ein frisches Gefühl und eine gewisse Respektlosigkeit und Spaß in den Dialogen ..“ Die Respektlosigkeit ist gelungen. Viel Spaß in den Dialogen konnte ich dagegen nicht feststellen.

Auch das beabsichtigte Spiel zwischen Drama und Komödie ist schon aus dem Grund nicht gut gelungen, da das persönliche Drama, der Ann viel zu umfangreich und auch sehr gut nachempfindbar ausgerollt und dargestellt wird. Die Tragödie überwiegt deutlich.

Am Schluss erhebe ich mich schwerfällig aus dem Kinosessel und verlasse den Saal mit dem Gefühl, zwei Stunden in einem enervierenden Meeting gesessen oder etwas Anstrengendes bewältigt zu haben. In dem Fall eine für mich sperrige und zu kühne Inszenierung.

Was ich ausgezeichnet fand, war die Schlussszene, die die gegenseitigen Abhängigkeiten der drei Hauptakteure in ihrer ganzen Tragweite zeigt. Besonders von Emma Stone und Olivia Colman grandios gespielt.

BSC

http://www.fox.de/the-favourite