9. Dezember 2019

Nur die Mondfinsternis fehlte

Kritik, Pro & Contra - Das perfekte Geheimnis
Nur die Mondfinsternis fehlte

Ein perfekter Stoff, ein erfolgreiches Filmteam und eine Spitzenbesetzung – Was kann da schon schief gehen? Die Redaktion ist dennoch geteilter Meinung. 

Pro

»Das perfekte Geheimnis« nimmt uns knapp zwei Stunden mit auf die Reise. Die Zeit verging wie im Flug, was schon mal ein gutes Zeichen ist.

Schon im Trailer erfahren wir, wohin die Reise voraussichtlich gehen wird. Alle Handys sollen auf den Tisch, alles soll vorgelesen werden. Der Abend eskaliert natürlich. Die Story ist äußerst vorhersehbar. Doch gerade deshalb fand ich es vorab äußerst spannend, und ich habe mich sehr auf den Film gefreut. Wie wird es wohl jedem einzelnen gelingen, sich aus der einen oder anderen grenzwertigen Situation herauszuziehen? Nun, ich denke, es ist nicht die Geschichte vom todkranken Papageien, dass es bei einigen schon mal knapp war und wir uns gefragt haben, „wie komme ich aus der Nummer jetzt bloß wieder raus?“ Anyway... möglich, dass sich das auch andere fragten. Der Kinosaal war jedenfalls selten so voll.

Und tatsächlich ist es auch genau das, was den Film hauptsächlich ausmacht, denke ich. Aber der Reihe nach. Drei Paare und ein Single finden sich zu einem Abendessen zusammen. Während die Gespräche um das Thema Ehrlichkeit kreisen, hat einer der Gäste die Idee, dass alle ihre Handys auf den Tisch legen und eingehende Nachrichten für alle vernehmbar laut vorgelesen werden. Und, wie Wunder, es dauert auch nicht lange und die ersten indiskreten Meldungen werden bekannt. Es ist unglaublich und sensationell, mit welcher immensen Komik sich die Abendgesellschaft versucht, aus der jeweiligen, manchmal sprichwörtlichen Affäre zu ziehen. Selten haben wir so gelacht! Und der Kinosaal mit!

Eines hat mich allerdings ziemlich erschreckt. Wie selbstverständlich und unter allgemeiner Belustigung der eine oder andere der abendlichen Gesellschaft mit seinen privaten und beruflichen Niederlagen und Peinlichkeiten vor den anderen demontiert und vorgeführt wird. Das fand ich doch sehr distanzlos und hab dem Universum gedankt, solche Menschen nicht im Freundeskreis zu haben. Und auf die absurde Idee mit den Handys würde auch niemand kommen. Aber deshalb heißt es ja auch Traumfabrik. 

»Das perfekte Geheimnis«  ist inspiriert vom italienischen Kinofilm Perfetti Sconosciuti von 2016, der allein in Italien 2,7 Mio. Besucher zählte. Insofern konnte das »Fuck juh Goethe«-Team um Bora Dagtekin bei der deutschen Adaption nicht allzu viel falsch machen. 

Sehr schön platziert der Film ganz am Ende - ich weiß gar nicht, ob nicht sogar schon der Abspann läuft - noch eine Überraschung. Der brave, nein eigentlich biedere Familienvater und Ehemann von Jessica Schwarz im Film (Wotan Wilke Möhring), der die meiste Zeit im Film eine Kochschürze trägt, präsentiert bei einem Ausflug ins Grüne seinen best buddies sein Zweithandy, das er natürlich nicht auf den Tisch gelegt hat. Inklusive kleinem Geheimnis, versteht sich. 

 

Der aktuelle Weltrekord im Handy-Weitwurf liegt übrigens bei 101,46 Metern. 2012 wurde er von dem Finnen Ere Karjalainen aufgestellt und ist bis heute ungebrochen. BSC

 

Contra

Boah, was ein Glück, das war der perfekte Film. Ich musste nicht der anfänglichen Versuchung nachgeben, das hübsche Setting und die wohldosierten Sprechübungen bei Tisch toll zu finden. Ich musste nicht alle meine Dagtekin-Zweifel an der Kinokasse eintauschen, weil ich endlich seinen Begriff von Komödie verstanden hatte. Auch musste ich den Film nicht in einem der großen Popcornkinos sehen. Doch dazu später. Nein, ich hatte Glück. Das Lachen blieb mir einfach im Halse stecken.

Die coolsten vier Jungs der Stadt treffen sich nebst Gattinnen mal wieder zum Essen. Der Schönheitschirurg (Wilke Möhring) und die Therapeutin (Schwarz) haben eingeladen, Werbetussi (Herfurth) und Elternvollzeitpapa (M'Barek) kommen, Taxifahrer (Lau) hat Erbin (Haase) dabei, nur Herr Lehrer (Fitz) verheimlicht der Runde, ob seine krank daheim Gebliebene wirklich noch mit ihm zusammen ist. Schnell einigt man sich, halb ernst - halb im Spaß, dass die Handys für alle einsehbar auf den Tisch sollen. Man gedenkt also, während des Essens die Hosen runterzulassen. Saßen die Speisenden dazu bei Luis Buñuel noch mit blanken Hintern auf weißen Klobecken, entblößen die Anwesenden hier nur den diskreten Charme ihres Seelenlebens. Oder zunächst ihres Sexlebens. Zur Sprache kommen heimliche Brust-OP's, die exakte Schwanzlänge vom Ex, Fellatio-Tips von der Kindergartenfreundin, zwischendurch erforschen sie den Alkoholismus („Hauptsache, es knallt“) und reißen blöde Witze. 

Ob der Hausmann die gelenkige Spielplatzbekanntschaft bumst, oder ob es die hochhackige Gastgeberin mit dem Taxifahrer treibt, ob jener nebenher auch noch seine Chefin schwängert und die Werbetussi potentielle Kunden ohne Slip trifft, verliert sich am Ende der Mondfinsternis im allgemeinen Gelächter. Scheiß drauf, wir sind doch alle gleich, klopft Regisseur Bora Dagtekin tatsächlich jeder und jedem im Saal jovial auf die Schulter. Allen, die ein Handy haben. Und Sex. Und allen, die Schwulsein ein bisschen eklig finden. Und die möchten, dass Serienkiller gefasst werden. Und die sich zum Wachwerden ein wenig Kokain in die Handtasche stecken (als Bezahlung für den Schlüpferdeal). Und die eine jahrelange Freundschaft beenden wollen, weil der Andere nicht gesagt hat, dass er „eine Tucke“ ist. Aber nicht, weil er es nicht gesagt hat. Sondern weil er seinen Schwanz in Ärsche steckt. Ey, kommt Leute..., seid doch nicht so spießig. Und zum Schluss klopfen wir noch allen auf die Schulter, die ein wenig schwere Körperverletzung als guten Gag goutieren. 

Werte sind wichtig. Sagt die betrogene Werbetussi am Ende und lässt ihre Kinder Papas Handy zertrümmern. Noch ein schöner Gag drei Minuten vorm Abspann. Das Ende ist überhaupt das Beste. Ein echtes Dagtekin-Bonbon. Hier verrät der Film alle seine Figuren komplett und dreht damit dem versammelten Publikum den Hals um. Einen Hals, in welchem ab der zweiten Hälfte des Filmes nahezu jedes Lachen hätte stecken bleiben müssen. Das italienische Original »Perfetti sconosciuti«, von dem es mittlerweile 18 Remakes gibt, endet mit einer Denkaufgabe für das Publikum; »Die perfekten Fremden« hätten sich wohl nie wieder getroffen, wenn sie dieses Spiel wirklich durchgezogen hätten. In der französischen Version ziehen sie es durch, doch die Vollmondfinsternis löscht jegliche Erinnerung daran aus. Die Deutschen sind da echt viel cooler und sagen Fack Ju Filippo Bologna, Fack Ju Paolo Costella.

Sie schlafen ihren Rausch aus, verdreschen einen homophoben Vater und lachen zum Schluss über den Schönheitschirurgen. Weil der so clever war, nicht sein Fick-Phone auf den Tisch zu legen. Pikanterweise hatte ausgerechnet Wilke Möhring (mal von Fitz abgesehen) bis dahin als einziger ein moralisches Guthaben auf'm Handy. Halt, nicht doch; die Erbin verließ sauber (betrogen aber ehrlich) und spießig (was? deswegen macht sie Schluss?) den Kreis der Schickeria. Der ganze Film ist wie dieser ewige Kino-Witz mit dem Kokain. Scheiß doch drauf, jeder nimmt was. Beim titelgebenden Geheimnis ist die Zielgruppe dagegen eng gefasst. Tolerante Menschen überlegen ab der Hälfte, ob sie gehen. Homophobe sind schon weg. Alle anderen amüsieren sich.

Oder werden sie doch eines Besseren belehrt? Stimmt etwa das Gerücht, Bora Dagtekin wollte gar keine geleckte, Schenkel und Schulter klopfende Komödie machen? Keine ehrliche, gut gemachte, offen kommerzielle, wie es ein User befindet? Wollte der »Fack-Juh-Göhte« -1 2 3-Schöpfer etwa eine knallharte, bitterböse Gesellschaftskritik abliefern? Und das Publikum sitzt nur im falschen Film? Weil Komödie drauf stand? Weil die Freiwillige Selbstkontrolle es verkackt hat? Die den Film ab 12 frei gab? Was im Saal dazu führt, dass sich ein paar Teenager die ganze Zeit fragen, warum die Alten so ewig labern, und wann denn nun endlich die Contents gezeigt werden. Dass sich am Ende alles nur um den Homo dreht („ach du Scheiße, der ist schwul“), fanden sie nicht mehr halb so lustig wie die „Kanakenkinder“ aus dem UN-World Food Programe-Trailer oder die „Mongo-Tweets" aus dem Aktion-Mensch Trailer vor dem Hauptfilm. Ich sagte ja schon eingangs - es war der perfekte Abend. Nur die Mondfinsternis fehlte, die aus dem entsetzten Kinogänger wieder jenen von letzter Woche machte. Der diesen Film für nicht relevant erachtete.

Rollo Tomasi

https://www.constantin-film.de/kino/das-perfekte-g...