10. August 2022

Das Ende einer Ära? »Thor – Love and Thunder« Kritik, Pro & Contra

Das große Finale – ist es nun das Ende einer Ära oder eine Kindergeburtstagsparty für alle?
Das Ende einer Ära? »Thor – Love and Thunder« Kritik, Pro & Contra

Das große Finale – für Fans und Freunde des Marvel-Universums ein Erlebnis voller Freude, Ehrfurcht und Tragik. Ist es nun das Ende einer Ära oder einfach nur eine bunte  Kindergeburtstagsparty für alle? Unsere Kritiker sind sich da nicht einig.

Pro

Holiday Time, Quality Time. Die Ferien haben uns weich gekocht für einen neuen Feldversuch mit dem Marvel-Universum, nachdem wir seit 2017 abstinent waren. Abgeholt hat uns, Kinder wie Erwachsene, der Steinmann Korg, der schon im Trailer eine klare Ansage macht: „Kinder, holt das Popcorn raus und ich erzähle euch die Geschichte über den Space-Wikinger Thor Odinson.“ Also auf ins Knusper-Kino, zu einem niedrigschwelligen, politisch korrekten Actionmärchen-Angebot für, sagen wir mal, ab Zehnjährige. Was geschieht? Thor hat sich eben seinen Speckbauch, das Überbleibsel einer gescheiterten Beziehung, abtrainiert, als er seinen Guardians-Freunden bei einem Rettungseinsatz helfen muss. Dabei geht ein ziemlich schicker Glastempel zu Bruch. Die Geretteten machen dem Donnergott denn auch ein bittersüßes Dankesgeschenk: zwei monstermäßig schreiende Ziegen, mit der Kraft ausgerüstet, ein Wikingerschiff durch diverse Galaxien bis nach Allmachtstadt zu schleppen. Dort soll der zart angefettete Zeus getroffen werden, denn es gilt Gorr, den Götterschlächter auszuschalten. Der Nordländer Thor braucht die Hilfe des alten griechischen Götterchefs. Dem ist die nächste Orgie aber näher als die Errichtung einer Eingreiftruppe, außerdem hat er Schiss. Spätestens hier ist klar, dass der neue Marvel aus dem Hause Disney Kinder unter vierzehn mit dem Konzept der Selbstironie vertraut macht. Erkenntnis: Das ist ja gar kein richtiger Marvel, das ist eine Komödie. Die machen sich ja dauernd über sich selber lustig. Richtig erkannt! Die Erwachsenen wiederum freuen sich über ein Wiederhören mit Guns’n’Roses und die Jodie-Foster und Jane-Fonda-Gags als Nathalie Portman auftritt, die Dr. Jane Foster heißt und sich aus unterschiedlichen Gründen Thors Hammer krallt, das heißt eigentlich er sie. Denn es gilt nicht nur gegen den Göttermörder zu kämpfen, die alte Beziehungskiste zwischen Jane und Thor will auch aufgearbeitet sein. Dazwischen gehen Kinder verloren, werden wieder aufgefunden, dürfen mitkämpfen und irgendwie retten sich alle miteinander und am Ende sogar Gorr, der endlich mitkriegt, wo der Hammer hängt: Am Liebeshaken. Bevor das geschieht, findet viel Puff-Peng-Autsch-Aua statt, verballhornte Actionszenen, Flachwitze, Ringen um Work-Life-Balance im galaktischen Coworking Space. Gemeinsam sind sie stark, die Irdischen Seit an Seit mit den Himmlischen. Und hey, ihr dürft verletzlich  sein, ist die Botschaft, Götterhäute sind auch nur bunte Pellen, letztlich Faschingskostüme. 

Taika Waititi inszeniert seinen neuen Blockbuster wie eine Kindergeburtstagsparty, entsprechend gut gelaunt spielen Chris Hemsworth, Christian Bale, Nathalie Portman, Tessa Thompson and the unbelievable Russell Crowe. Popcorn at his best, nicht mehr und nicht weniger. Eine Frage allerdings hätten wir noch: Warum werden die unglücklichen Bösewichte stets mit diesen unpraktisch langen Fingernägeln ausgestattet und dürfen sie dann nicht einsetzen? Wir hätten so gern gesehen, wie Christian Bales Gorr seine Krallen an Zeus Hüftgold wetzt. Gorr ist nun dead. Dead, dead. Aber irgendeiner wird das demnächst schon für ihn erledigen.

Grit Dora

 


Contra

 

Wer mit Comicverfilmungen, Superhelden und Kinopathos im Überfluss nichts anfangen kann, ist seit 2008 wahrscheinlich regelmäßig frustriert, wenn das Kinoprogramm erscheint. Das neue Marvel Universum beginnt. Robert Downey Jr. erscheint als »Iron Man« auf der Leinwand und Regisseur Jon Favreau versteht es, daraus einen humorvollen und doch vielschichtigen Charakter und Film zu kreieren. 2011 kommen »Thor« und »Captain America: The First Avenger« heraus und wieder zeigt sich, dass sich die Macher, allen voran Produzent Kevin Feige, mehr dabei dachten, als nur buntes Popkornkino mit Superhelden in Strumpfhosen und Gummimasken zu zeigen. Oft geht es brutal, tragisch und sehr oft sehr erwachsen zu. Nicht nur der Kampf gegen Schurken, auch der Zwist mit dem menschlichen Alltag, politischen und medialen Zwängen und der persönlichen Verantwortung wird beleuchtet. Dabei entwickelt sich in der Filmserie ein besonderer Humor, gespeist aus den Charakteren, die der Zuschauer im Laufe der Jahre kennen und lieben gelernt hat. 21 Filme lang wurden Personen vorgestellt und Verbindungen geknüpft – 2019 findet diese Reise mit »Endgame« ihren Höhepunkt. Das große Finale – für Fans und Freunde des Marvel Universums ein Erlebnis voller Freude, Ehrfurcht und Tragik. 

Und während auf der Leinwand alles scheinbar seinen gut sortierten Gang geht, ändert sich im Produktionshintergrund so einiges. Schon 2009 kauft Disney die Rechte an den Marvel Produktionen, hält seinen Einfluss aber (scheinbar) zurück. Erst bei »Thor: Tag der Entscheidung« (2017), der dritte Teil mit Chris Hemsworth als nordischer/außerirdischer Held, bekommt eine ganz eigene Note und mit Taika Waititi einen Regisseur, der eher durch kleine, komödiantische Werke auffiel. Und so wird auch dieser Film seltsam klamaukig und übertrieben bunt, fügt sich in seiner Handlung aber recht nahtlos in den allgemeinen Erzählstrang ein. 

Als 2019 dieser Pfad endet (einige Filme kommen als Nachtrag noch dazu), ist nicht klar, wo die Reise hingehen wird. Miniserien mit den Nebenfiguren der letzten Jahre werden veröffentlicht. Durchaus unterhaltsam, aber keinesfalls so packend wie die Filme. Mit »Shang-Chi and the Legend of the Ten Rings« (2021) und »Eternals« (2021) zeigt sich dann endgültig, dass Disney seinen Einfluss in seiner Marvel Sparte geltend machen möchte. Es wird bunter, mystischer, politisch korrekter bzw. angepasster an den vermeintlichen Zeitgeist. Die Geschichten, die erzählt werden, sind wenig komplex, die Figuren eindimensional. Ganz offenbar fokussiert man nun ein etwas jüngeres Publikum an, das zudem auch emotional und intellektuell nicht zu sehr gefordert werden darf. »Doctor Strange in the Multiverse of Madness« (2022) hat eine vertraute Hauptfigur, macht aber nichts daraus. Ein paar Gruseleffekte können die dünne, schlecht erzählte Story nicht retten. Mit »Thor: Love and Thunder« (2022) verabschiedet man sich vollständig vom alten Kanon. Statt echte Kinofilme auf Grundlage von Comics zu machen, ist es eine Comicverfilmung, eine Bildgeschichte, die zum Spielfilm umgeschrieben wurde. Und zwar für Kinder ab 10 Jahren. Keine Vielschichtigkeit mehr, kein Mitfiebern und Mitleiden, das nicht mit dem Vorschlaghammer verordnet wird. Und Humor, der albern daherkommt und jeden Tiefgang im Ansatz zerstreut. Was Taika Waititi mit seinem »Jojo Rabbit« (2019) eigentlich gut gelang – einer sehr ernsten Geschichte ein Augenzwinkern zu verpassen, wird hier zur Slapstick Parade. Denn eigentlich treffen im Film zwei gebrochene Menschen aufeinander: Bösewicht Gorr, der Heimat, Volk und Tochter verloren hat und Thor, dessen Vater, Mutter und Bruder starben und dessen Freunde im ganzen Universum verstreut sind. Also großes Potenzial für eine epische Erzählung. Stattdessen aber wird es ein Märchenfilm, der nie das Niveau einer Gute-Nacht-Geschichte überschreitet. Nach zwei Jahren Pandemie traute sich das Studio offenbar nicht, seinem Publikum mehr als eine bunte Bilderflut zu zeigen. Und die kommenden Produktionen »I Am Groot« (ab 2022 bei Disney+), »She-Hulk: Die Anwältin« (ab 2022 bei Disney+) und »Black Panther: Wakanda Forever« (im Kino) lassen keine Änderung dieses Konzepts erkennen. Aus Marvel ist Disney geworden – Familienprogramm, das 20 Uhr im Fernsehen laufen kann oder Sonntagnachmittag die Kinder bespaßt. Das eine heile Welt darstellt, unpolitische Diversität zelebriert und Spielzeug verkauft. Die Seichten haben gewonnen.

 

Pinselbube

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