5. Oktober 2016

Vergesslicher Ex-Agent oder Snowden Rächer?

Fragen über Fragen - Pro & Contra »Jason Bourne«
Vergesslicher Ex-Agent oder Snowden Rächer?
Matt Damon kehrt als vergesslicher Ex-Agent auf die Leinwand zurück. In der Redaktion des Kinokalender Dresden wird das mit gemischten Gefühlen quittiert.

Pro:
Paul Greengrass und Matt Damon haben es noch drauf. Der fünfte Teil der Filmreihe – eigentlich der reguläre vierte Film – kommt kompakt, wild und in bester Damonischen Tradition daher. Klar das im Post-Snowden Zeitalter jeder Verschwörungs- oder Spionagefilm sich an diesem Ereignis messen lassen muss. Doch mit welcher Wucht Greengrass das mit seinem erneuerten Team macht, ist schon beachtlich. Er stellt das Franchaise neu auf, entrümpelt und reduziert. Das hohe Tempo vom Beginn kann er zwar zum Ende nicht halten (und die Längen im Drehbuch auch nicht ausbügeln). Aber unterm Strich bleibt es, alles in allem, kompakte, auf den Kern reduzierte Kinounterhaltung, die fesselt und aktuelle Themen en passant verarbeitet.

Dafür steht natürlich allen voran Matt Damon, der einsame Wolf, der zu Recht niemanden traut, auch nicht den so klug und freundlich daherkommenden Geheimdienst-Emanzen. Als sein Gegenspieler gibt Tommy Lee Jones sehr lässig Kostproben seines Könnens und gib den desillusionierten, eiskalten Spion (auch wenn es leicht eine Spur verspannt daher kommt). Dazu gesellen sich zahlreiche jüngere Schauspieler, darunter der talentierte Riz Ahmed, Brite pakistanischer Abstammung, der mit der abgefahrenen Dschihadisten-Komödie »Four Lions« – damals, 2010 konnte da noch unbeschwert gelacht werden – bekannt wurde und die schwedische Schauspielerin Alicia Vikander. Etwas verpeilt darf auch unser europäischer Superstar Vincent Cassel durch den Film stolpern, rundet damit aber das hervorragende internationales Ensemble ab.

Die Schauplätze folgen den Hot Spots der europäischen Politik der letzten Jahre, Athen, Berlin und London. Vor allem die Eingangssequenz in Athen zeigt bestes, am klassischen Thriller orientiertes Handwerk, dass ohne große digitale Mätzchen atemlos und fesselnd eröffnet. Ein tiefgreifender Kommentar zur aktuellen Situation wäre zu viel verlangt und steht auch nicht auf der Tagesordnung. Bourne ist von seiner Vergangenheit besessen und folgt nur dieser Agenda. Aber im Gegensatz zu anderen aktuellen Großproduktionen wie »James Bond 007: Spectre« oder »Mission: Impossible« ist »Jason Bourne« sehr bodenständig und in einem realistischen sozialen Umfeld platziert. Da geht der Sieg nach Punkten eindeutig an »Jason Bourne«.

Spannend dabei auch der – leider etwas weich gezeichnete – Ausblick auf neue soziale Technologien, die der charismatischen erfolgreiche Aaron Kalloor (Riz Ahmed) mit seinem „Deep Dream“-Netzwerk im Film einführt. Eine Technologie, an dessen Wiege Geheimdienste standen, sich davon großes versprachen und vom Erfolg überwältigt sind. Willkommen im Blick auf unseren Alltag, irgendwo im Spannungsfeld zwischen Überwachung und Freiheit. Das sollte jeder für sich entscheiden, unsere Rechte aber als extrem hohes Gut begreifen.

Globale Überwachungs- und Spionageaffäre trifft auf liberales Hollywood, einsamer Cowboy auf korrupte staatliche Institutionen und den ganzen Dreck der Vergangenheit. Und damit kommt er klar. Denn er will die Geheimnisse seiner Existenz lösen (die Zuschauer dazu noch auf einigen Reisen mitnehmen). Nicht mehr, aber auch nicht weniger…

Contra:
Was haben Sean Connery, Sigourney Weaver und Matt Damon gemeinsam? Sie sind zunächst einmal großartige Schauspieler. Darüber hinaus sind alle drei untrennbar mit außergewöhnlichen Filmreihen verbunden, die bereits über viele Jahrzehnte existieren und weltweit überaus erfolgreich und beliebt sind. Was dem Connery sein »Bond« und der Weaver ihre »Aliens« waren, ist für Damon der von Amnesie geplagte Ex-Regierungsagent Jason Bourne. Eine dritte Gemeinsamkeit der Stars: Sie alle kamen an einen Punkt in ihrer Karriere, an dem sie ihre Alter Egos hinter sich lassen wollten und das auch öffentlichkeitswirksam kommunizierten. Lang gehalten hat es nie: Connery kehrte nach dem selbst verkündeten Abschied zweimal in seine Paraderolle zurück, Weaver ließ sich für einen vierten »Alien«-Teil im wahrsten Sinne des Wortes klonen und Damon hetzt als Bourne nun abermals um den Globus, um etwas über seine Vergangenheit zu erfahren.

Hat es nach dem genialen finalen Teil der Trilogie, »Das Bourne Ultimatum« (2007), eine Fortsetzung gebraucht? Angeblich seien es die Fans gewesen, die Damon und seinen Regisseur Paul Greengrass immer wieder darum gebeten hätten. Sehr clever! So kann man bei Nichtgelingen eben jenen Fans den Schwarzen Peter zuschieben. Hat bei Spielbergs viertem »Indiana Jones«-Teil ja auch wunderbar funktioniert.

Wie überflüssig und vor allem unkreativ »Jason Bourne« letztendlich ist, zeigt sich in vielen Aspekten: den wiederverwendeten Drehorten, dem beinahe identischen Handlungsaufbau, der auferstandenen „Wackelkamera-Optik“. Ja sogar der Abspannsong wurde recycelt. Gähn! Diente eben jener Shaky-Cam-Filmstil in vorherigen Teilen noch dazu, die atem- und pausenlose Flucht des Protagonisten zu illustrieren, soll sie nun offenbar lediglich den inhaltlichen Leerlauf verschleiern. In einem Interview zum Kinostart verweis Darsteller Damon auf „fundamentale Veränderungen“, die die Welt bezüglich staatlicher Überwachung und deren Enthüllung seit Bournes letztem Einsatz erfahren habe – und die man „als neue Spielfläche“ für den Charakter nutzen wollte.

Ein ehrenwertes Ansinnen, im Film ist davon jedoch kaum etwas vorhanden. Zwar fällt der Name Snowden in einem Meeting, die politischen Dimensionen dahinter werden allerdings nicht erkundet. An anderer Stelle dient die politisch aufgeheizte Stimmung in Griechenland als Hintergrund für eine Verfolgungsjagd, bleibt aber ebenso nur Mittel zu dem Zweck, den Flüchtigen durch eine Athener Demonstration zu treiben. Der Rest ist altbekannt: Die böse CIA glotzt auf der Suche nach Bourne auf riesige Bildschirme und Stadtpläne, während der Gesuchte versucht, MacGyver-mäßig seinen Häschern zu entkommen. Wozu CIA-Primus Dewey (Tommy Lee Jones) zudem den Facebook-Abklatsch „Deep Dream“ benötigt, wenn er ohnehin bereits auf jedes Handy in der Welt zugreifen kann, ist ebenso verwunderlich wie die charakterliche Unentschlossenheit seiner Assistentin (Alicia Vikander).

»Jason Bourne« wirkt wie ein Remake von »Das Bourne Ultimatum«, ohne jedoch auch nur ansatzweise dessen Tempo, Bedrohungsszenario oder Spannung zu erreichen. Inhaltlich mager, filmisch akzeptabel, cineastisch unbedeutend. Insofern eine gute Ergänzung zu Connerys »Sag niemals nie« und Weavers »Alien – Die Wiedergeburt«.

Csaba Lázár

http://upig.de/micro/jason-bourne