9. Juni 2016

Plitsch platsch - Ralph Fiennes geht baden. Nackt. Immer wieder.

Was das mit dem massenhafte Ertrinken unzähliger Flüchtlinge zu tun hat? - Pro & Contra A Bigger Splash
Plitsch platsch - Ralph Fiennes geht baden. Nackt. Immer wieder.
Pro:
Wenn es in der langen und beeindruckenden Karriere des Ralph Fiennes noch einer Szene bedurft hat, die ihn unsterblich macht, dann ist sie in »A Bigger Splash« zu finden: Während The Rolling Stones ihren Song „Emotional Rescue“ auf Platte schmettern, versucht sich der Brite alias Harry im Tanzen, verbiegt sich aufs Lustigste und reißt nicht nur seine Mitspieler auf der Leinwand mit. Ein großer Spaß - mit etwas Fremdschämfaktor und viel Herzblut. Jene Eruption auf dem Parkett ist quasi die Quintessenz dessen, was alle vier Charaktere dieser Geschichte, Harry, Marianne (Tilda Swinton), Paul (Matthias Schoenaerts) und Penelope (Dakota Johnson), offen oder hinter einer Fassade versteckt sind: vulgär, zügellos, grenzüberschreitend. In welchem Maße, zeigt sich in der Tragikomödie mit zunehmender Laufzeit auf höchst interessante Weise.

»A Bigger Splash« von Luca Guadagnino (»I Am Love«) stibitzt seine Handlung vom Alain Delon/Romy Schneider-Klassiker »Der Swimmingpool“ von 1969 und den Titel von David Hockneys Gemälde von 1967. Vier gut situierte Europäer genießen den Sommer und das Meer auf Sizilien, erfreuen sich am Luxus und Nichtstun und versuchen, die erotische Spannung, die zwischen ihnen knistert, zu ignorieren. Einem Vulkan gleich, der kurz vor dem Ausbruch steht. Guadagnino inszeniert das mit überraschenden „Crash-Zooms“, indem er unvermittelt in Szenen hineinspringt, heranzoomt und das Ganze mit einem äußerst vielfältigen Soundtrack untermalt – ganz so wie im Kino Ende der 1960er Jahre. Alles scheint ein wenig aus der Zeit gefallen, ganz so wie die Protagonisten, die ziemlich überrascht dreinschauen, als sie bei einer Wanderung plötzlich auf gestrandete Flüchtlinge aus Afrika stoßen. Was zunächst ob der zuvor gezeigten Unbeschwertheit von Harry & Co. etwas befremdlich wirkt, bekommt vor allem im letzten Drittel des Films immer mehr Bedeutung: Die Traumwelt, in der sich die Vier befinden, bröckelt, die Realität hält Einzug und die heile Künstlerwelt zerplatzt wie eine Seifenblase. Es fällt nicht schwer, diese Szenerie als Gleichnis zu aktuellen Empfindungen auf dem europäischen Kontinent zu begreifen. Im Original von ’69 war das alles noch abstrakter, konzentrierte sich „Der Swimmingpool“ doch vornehmlich auf die Dekonstruktion der selbstverliebten Oberschicht.

Wer keine Lust auf politische Statements hat, findet in »A Bigger Splash« aber immer noch genug anderes. Einen Thriller beispielsweise, wenn es darum geht herauszufinden, was der überraschende Besuch vom lauten Harry und seiner stillen Tochter(?) Penelope auf dem Anwesen von Marianne und Paul eigentlich soll. Immer wieder lässt das Drehbuch Zweifel an der Vater-Tochter-Beziehung aufkommen: Sind beide vielleicht doch ein Paar, das es sich zum Ziel gesetzt hat, ihre Gastgeber auseinander zu bringen? Spätestens wenn Penelope einen herbei gekullerten Basketball zurück ins Spielfeld wirft, wirkt der Satz „Sie will doch nur spielen“ wunderbar doppeldeutig. Ihr „Papa“ hingegen, dieser wollüstige Tiger, lässt keine Möglichkeit aus, um seine nackte Schönheit und unbändige Libido zu präsentieren.

»A Bigger Splash« ist amüsant, sehr sexy, ein wenig politisch und ganz viel Ralph Fiennes. Ganz viel nackter Ralph Fiennes! Voldemort zieht blank sozusagen. Ganz ohne zusätzlichen Zauberstab.

Csaba Lázár

Contra
Ein Swimmingpool. Glitzernde Reflexe im warmen Wüstenwind. Auf einer mediteranen Insel, wo sich die gealterte Rockdiva von einem strammen Burschen ihre Wunden lecken lässt, und wo ein nerviger Zausel mit Anlauf die Arschbombe macht, um die mitgeschleppte Lolita zu befeuchten ..., wird bald zwischen lecker Cocktails allerlei Begierde verhandelt. Was kann da schon schief gehen?

Stumm schwebt Tilda Swinton durch dieses psychosexuelle Drama, der nicht abebbenden Verbal-Errektion Ralph Fiennes` schonungslos ausgesetzt. Die hübsche Idee mit der Stimmband-Operation bringt ihr mimisches Talent ordentlich in Wallung. Seit Stunden krakeelt Fiennes, ihr Ex-Produzent und Ex-Lover, OSCAR-reif im sommerlichen Liebesnest und umkreist beider obszöne Vergangenheit wie ein Stück Aas. Den Beschützerinstinkt von Tildas neuem Freund Matthias Schoenaerts hat er korrumpiert, indem er ihm seine minderjährige Tochter vor die Nase setzt. Mal schauen, ob sich dessen Beuteschema um die kecke Dakota Johnson erweitern lässt. Alles scheint perfekt, die Aufstellung der Figuren ist wunderbar. Und so offensichtlich. Wie am Abend davor.

Blöderweise sah ich im TV genau einen Tag vor Luca Guadagninos ambitionierter Bearbeitung wie Romy Schneider sich wand und Alain Delon um den Pool schlich, wie Jane Birkin sich räkelte und Maurice Ronet im Pool trieb. Schlechtes Timing. Es war, als ließe jemand die Luft aus der Matraze. Doch die eigentliche Enttäuschung schlich sich erst viel später an. Brütend über Fragen wie; warum die Rechte an einem Film überhaupt irgendwo aufgehoben werden müssen oder wieso die Geschichte nach 50 Jahren zwar obszöner, aber nicht erhellender daherkommt, entdeckte ich einen überraschend auftauchenden Twist. Sollte es dem italienischen Regisseur wirklich gelingen, dem bildschönen, aber nutzlosen Tod eines Musikproduzenten etwas ganz und gar Hässliches, nicht minder Nutzloses gegenüberzustellen? Das massenhafte Ertrinken unzähliger Flüchtlinge in den Gewässern des Mittelmeeres? Tausende Lebensträume schimmern am Grund der See wie jenes Plattencover im Pool. Hätte Luca Guadagnino dieser an sich bedeutungslosen Dekadenz nicht noch viel mehr den Spiegel vorhalten müssen? Weil es ringsum und täglich a bigger splash gab und gibt? Er hätte es müssen.
Rollo Tomasi

http://www.a-bigger-splash.de/showtimes