29. Oktober 2015

Lieber Ridley, ich mag Dich trotzdem!

Geradlinig und ökonomisch - Pro & Contra »Der Marsianer«
Lieber Ridley, ich mag Dich trotzdem!
Sir Ridley Scott dreht einen Science-Fiction-Film – mal wieder. In der Redaktion des Kinokalender Dresden stößt das auf ein geteiltes Echo.

Pro
Ridley Scott wollte es mal wieder wissen und macht es - einfach und großartig. Er realisiert einen kompakten und sehr unterhaltsamen Science-Fiction-Film mit einem überragenden Matt Damon. Der trägt den Film und überspielt ganz locker die zugegeben nicht sehr großartigen Sequenzen auf der Erde. Einziger Lichtblick bei der NASA - Donald Glover aka Rapper Childish Gambino. Ein noch sehr frisches Gesicht, dass sein Talent überzeugend darstellen kann und frech die am Boden versammelte ältere Riege hervorragender Schauspieler an die Wand spielt.

Was soll noch viel gesagt werden. Geradlinige, schnörkellose Handlung, die Mark Watney gekonnt vom Mars aus dirigiert. Coole Sprüche und klare, bodenständige Abläufe, die garniert mit lässigen Ansagen zu Wassergewinnung, Bombenbau und Computergrundlagen auch für einen realen Erkenntnisgewinn beim Zuschauer sorgen (auch wenn die Bombentips vom super funktionierenden Sidekick dem Deutschen Vogel kamen). Das Ganze in einem sehr modernen Look und mit hohem Tempo erzählt, welches das Finale noch zu toppen weiß und beim Publikum für jede Menge Schweißperlen und Adrenalinausstoß sorgt.

Hervorzuheben ist insbesondere auch die Frische, mit der die Handlung, befreit von jedem übernatürlichen Gerede oder Ideologie zügig vorangetrieben und so für den Zuschauer zu einem besonderen Kinoerlebnis wird. Besonders deutlich wird das bei Mark Watneys Einstieg in seine Vorlesung am Ende des Films, klare persönliche Worte, die sich zu einem zutiefst humanistischen Credo verdichten. Der Mensch löst all seine Probleme, ruhig, Schritt für Schritt.

Kurz, Scott erweist sich als Meister des Genres, das er mit »Alien« revolutionierte und legt mit 77 Jahren (!) einen fulminanten und auch an den Kinokassen sehr erfolgreichen Film hin - geradlinig, ökonomisch und spannend erzählt. Was will man mehr im Kino!!
Mersaw

Contra:
Da war er wieder, gleich zu Beginn von »Der Marsianer«: Jener Moment, der noch einmal daran erinnert, welch außergewöhnliche Filme der inzwischen 77-jährige Brite Ridley Scott der Welt schon geschenkt hat: Sicher nicht zufällig ähnelt der Vorspann seines aktuellen Werks dem Prolog von »Alien – Das unheimliche Wesen aus einer fremden Welt«, mit dem Scott 1979 Kinogänger das Fürchten lehrte. Im Jahr 2015 dreht er die Prämisse einfach um. Statt außerirdisches Viehzeug in die menschliche Welt eindringen zu lassen, setzt er diesmal einen Homo sapiens namens Mark Watney (Matt Damon) auf dem Mars aus und konfrontiert ihn mit etlichen Herausforderungen, bis irgendwann ein Rettungstrupp zu ihm kommt.

„I have to science the shit out of this!“ lautet folglich Watneys treffend-prägnanter Kommentar, als er feststellt, dass weder seine ursprüngliche Crew noch die NASA-Nasen auf der Erde von seinem Überleben Kenntnis haben. Also gilt es für ihn, Nahrung, Sauerstoff und Hoffnung auf Vorrat zu produzieren, was sich angesichts seiner bescheidenen Situation erwartungsgemäß schwierig gestaltet.

Dem nicht fußlahmen Kinogänger fällt auf: Schauspieler Matt Damon allein auf einem fremden Planeten? Das hatten wir doch neulich schon einmal in »Interstellar«?! Mit dem Unterschied, dass sein Auftritt dort relativ überschaubar war. Kurioserweise jedoch auch mit sehr viel mehr Substanz ausgestattet. Denn was Scott und seinem Autor Drew Goddard hier in 144 Minuten leider nur bedingt gelingt, ist, dem Gestrandeten eine echte Persönlichkeit zu geben. Watney kalauert sich mit flotten Sprüchen und viel MacGyver-Tum von Problem zu Problem, psychische Zusammenbrüche oder Momente der akuten Lebensgefahr, die seinem Charakter eine neue Facette geben könnten, werden den Zuschauern dagegen vorenthalten.

Von verzweifelten Suizid-Gedanken à la Chuck Noland (Tom Hanks in »Cast Away«) ist nichts zu sehen, dafür vermehrt besorgte Landsleute auf der Erde, die den Mut, Durchhaltewillen und Humor des Amerikaners preisen. Hallelujah! Dass zudem seine komplette Raumschiff-Crew, ohne einen Hauch von Skepsis und Streitgespräch ob der Gefahren, die NASA-Befehlskette ignoriert und zurückfliegt, ist zwar menschlich eine große Geste – glaubhaft ist sie nicht.

Apropos NASA-Hauptquartier: Dort scheint ohne das Können der – Achtung! Klischee: geheimniskrämerischen – Chinesen überhaupt nichts zu funktionieren. Außer das überflüssige Rumstehen und Nichtstun, was sich unbeabsichtigt(?) deutlich in Kristen Wiigs und Sean Beans unbedeutenden Charakteren widerspiegelt. Vielleicht ist es aber auch nur die Schockstarre, die sie befallen hat angesichts des fiesen Überangebots an 70er- und 80er-Jahre-Discomusik im Film.

Zugegeben, die Entscheidung der Macher, das ganze Abenteuer humoristisch aufzuziehen, kommt unerwartet und unterhält bisweilen prächtig. Cleverer Nebeneffekt: Beim Lachen übersieht man gern den einen oder anderen Widerspruch oder lässt sich von Wissenschaftssprech einlullen, ohne ihn zu hinterfragen. Mir persönlich hat der undurchsichtige Dr. Mann, den Damon in »Interstellar« dargestellt hat, allerdings mehr gegeben: Seine Handlungen waren unvorhersehbar, sein Auftreten einschüchternd und seine Verzweiflung, nach langer Einsamkeit zur Erde zurückzukehren, nachvollziehbarer. Noch deutlicher wird das im Vergleich mit »Gravity«.

Dieses kompakte filmische Meisterwerk wird selbiges durch die Konzentration auf die beiden Überlebenden der Katastrophe und die Kombination aus brillanten Akteuren und großartige Kameraarbeit. Der »Der Marsianer« wirkt dagegen wie gefälliges, besseres Unterhaltungskino. Ridley Scott könnte auf seine alten Tage eigentlich entspannt auch anders.

Oder, um es mit seinen eigenen Worten zu sagen, als er gefragt wurde, warum er »Der Marsianer« realisieren wollte: „Das war ein „no-brainer“. Ich musste einfach mitmachen.“

Lieber Ridley, ich mag Dich trotzdem! Und manchmal sind solche leichtfüßigen Filme ja auch die schönsten.

Csaba Lázár

http://www.fox.de/the-martian