2. Oktober 2014

Pro und Contra »A Most Wanted Man«

Ein würdiger Abschluss oder ein Film zum Vergessen?
Pro und Contra »A Most Wanted Man«
Philip Seymour Hoffman in einer seiner letzten Hauptrollen. Ein würdiger Abschluss einer bemerkenswerten Schauspielkarriere oder ein Film zum Vergessen? Die Redaktion des Kinokalender Dresden ist sich da uneins.

Pro:

Vielleicht blüht Anton Corbijn jetzt das gleiche Schicksal wie einst seinem Regiekollegen Christopher Nolan, als dieser 2008 den zweiten Teil seiner »Batman«-Trilogie, »The Dark Knight«, vorstellte: der Film in künstlerischer Hinsicht gelungen, doch alle Welt interessiert sich nur für den Auftritt des nach Drehende verstorbenen Hauptdarstellers. Glaubt man seinen Aussagen während der Promo-Tour zum Kinostart, ist Corbijn diese Art der Aufmerksamkeit selbst etwas suspekt. Zu Recht, lenkt sie doch unfairerweise sehr von den zahlreichen anderen Qualitäten seines dritten Spielfilms ab.

Denn auch wenn Hoffman alias Günther Bachmann diesen kühl und spröde wirkenden, zurückgenommen inszenierten Agententhriller in beinahe jeder Szene dominiert, sind es doch erst die vielen kleinen Schmankerl rechts und links im Bild, die »A Most Wanted Man« so sehenswert machen. Die völlig unterforderten Daniel Brühl und Kostja Ullmann als stille Assistenten Bachmanns einmal ausgenommen, die sich hier (leider) lediglich als Stuhl- und Kopfhörertester für die nächste Ikea-/Media Markt-Werbung empfehlen.

Nein, kleine Schmankerl meint unter anderem die sporadisch auftretenden deutschen Schauspieler Nina Hoss und Rainer Bock, deren Namen es unerhörterweise nicht mal auf das Plakat zum Film geschafft haben. Während Erstere gewohnt präzise mit wenigen Gesten eine tiefe Zuneigung und Vertrautheit ihrer Figur Irna Frey zum Geheimdienstkollegen Bachmann durchschimmern lässt, entwickelt sich der von Bock gespielte BND-Mann Mohr sukzessive zum aggressiven Gegenstück des Protagonisten. Oder um es weniger verschwurbelt zu sagen: Bock vs. Hoffman. Bekanntes TV-Gesicht vs. Weltstar mit Oscar-Ehren. Dynamo vs. Leverkusen im DFB-Pokal Juli 2011. Dass der aus Kiel stammende Bock hierbei nicht nur einen schauspielerischen Zufallstreffer landet wie beispielsweise Til Schweiger in »Inglourious Basterds«, verdeutlicht ein Blick in Bocks Œuvre der vergangenen fünf Jahre: Spielberg, Tarantino, de Palma, Haneke, Petzold, … Angeblich fehlt ihm auf seiner privaten Regisseurs-Hitliste nur noch der Woody. Rainer, ich drück Dir die Daumen!

Von einer „glänzenden" Performance zu sprechen, wäre bei »A Most Wanted Man« jedoch nicht ganz korrekt. Denn U2- und Grönemeyer-Hausfotograf Corbijn hat es nicht so mit hellen und leuchtenden Farben, er taucht seinen Hamburger Bildband lieber in allerschönstes Grau, liebt es schmutzig, schmuddelig und düster. Also genau die richtige Umgebung für Schattenwesen wie Bachmann und Mohr, deren Hauptaufgabe darin besteht, unsichtbar zu bleiben. Sie sind die waschbrettbauchfreie, 50plus-Version des berühmten britischen Doppelnull-Agenten, rauchen mehr, als dass sie schlafen und verbringen die meiste Lebenszeit in abgedunkelten Lieferwagen, die sie abends bevorzugt gegen noch dunklere Kneipenlöcher eintauschen. Sollte »A Most Wanted Man« also irgendwann in der hiesigen Arbeitsagentur als Ausbildungsvideo für Jobsuchende genutzt werden, prophezeie ich einen rapiden Anstieg von Graumantel-Trägern mit Flachmann im Anschlag und kleinem Bäuchlein unterm Hemd.

Das Schöne an so einem actionfreien Ensemblestück: Corbijn hat ausreichend Zeit, die mitunter verquere Ideologie der Sicherheitsbehörden und deren scheinbar alltägliche Ignoranz demokratischer Grundrechte zu sezieren. Wertung gibt es zwar keine, Diskussionsvorlagen allerdings zur Genüge. Zum Beispiel darüber, ob »A Most Wanted Man« besser ist als der stilistisch ähnliche, ebenfalls auf einer Vorlage von John le Carré basierende »Dame König As Spion«. Ich sage: na logo!

Widersprüche gern schriftlich an
Csaba Lázár

Falls sich alle Welt jetzt wirklich nur wegen des Hauptdarstellers plötzlichen Tod für den neuen Film von Anton Corbijn interessiert, tut sie das zwar aus quasi niederen Beweggründen, aber das schadet nichts. Je mehr Leute »A Most Wanted Man« sehen, desto besser.

Auch Corbijns dritter Spielfilm handelt von des Daseins Pein – diesmal durchleidet sie Günther Bachmann, Chef einer kleinen Hamburger Spionage-Spezialeinheit.

Ein Mann, der bessere Tage gesehen hat, der schon heftig geschasst wurde, der weiß, wie abgründig das Leben ist, wie unberechenbar die Menschen. Einer, der trotzdem nicht aufhören will, nicht aufhören kann, zu kämpfen. Ein Romantiker. Philip Seymour Hoffman spielt ihn nicht, er ist Günter Bachmann. Übernächtigt, abgekämpft, aber ungeschlagen streift er durch Hamburgs Straßen. Keinen Vorgesetzten duldend, nur dem eigenen Auftrag verpflichtet. Er ist nicht konsensfähig, er ist undiplomatisch und zu klug für diese Welt. Sein größter Fehler: Wider alle Erfahrungen zu vertrauen. Als ihm die anderen sein fein gesponnenes Netz zerstört, seine Arbeit ruiniert haben, verlässt er gedemütigt die Bühne. Sein gebeugter Rücken strahlt dennoch moralischen Sieg aus. Die Zuversicht, dass der nächste integre Spion auf den Plan treten wird.

»A Most Wanted Man« ist definitiv eine One-Man-Show. Egal ob Amerikaner oder Deutsche, ob Willem Dafoe oder Nina Hoss, ob auf dem Filmplakat erwähnt oder nicht – sie alle bilden nur die dunkle Folie vor der Hoffmans Figur umso heller strahlt. Diese Zuspitzung auf den einsamen Helden ist zugleich Stärke und Schwäche des Filmes. Verlässt er den Raum, wird es dunkel, sprich fad. Einzig Grigoriy Dobrygin kann seinem russisch-tschetschenischen Flüchtling Issa Karpov in wenigen Szenen eine ähnlich extreme Spannung verleihen – dank seiner Rolle.

Rainer Bock, Daniel Brühl, Bernhard Schütz, all die tollen deutschen Schauspieler wirken daneben hölzern chargierend. (Na gut, Daniel Brühl hat einfach keine Chance, so ohne Text.) Nina Hoss spielt mit ungeheuerem Verve, aber letztlich vergeblich gegen ihr grundfalsches Divenkostüm an. Robin Wright gibt die smarte Amerikanerin, Rachel McAdams ist als Menschenrechtsanwältin Anabell Richter überfordert oder einfach falsch besetzt und Herbert Grönemeyer ist Herbert Grönemeyer, auch wenn er ein hohes Tier darstellen soll.

Man versteht, dass der Geheimagent Günther Bachmann lieber mit seinen Informanten zusammensitzt, in diesem düsteren Hamburg, wo die Wellen so mitleidlos gegen die Kaimauer schwappen. Man meint, das Öl zu riechen, das auf dem Wasser liegt. Anton Corbijn zeigt Hamburgs hässliches Gesicht – besonders wenn er auf die Häuser der Reichen hält. Seinen Agenten stellt er vor herbstgoldene Blätterwände, die missfarbene Krawatte leuchtet in der Abendsonne. Das passt gut zu Philip Seymour Hoffmans Spiel. Er macht die Zerstörtheit seiner Figur anziehend, verleiht ihr eine ungeheure Leichtigkeit, ja Transparenz.
Trotz dramaturgischer Lücken und fehlendem Ensemblespiel ist »A Most Wanted Man« ein intensiver und brandaktueller Film. Hart, schonungslos, aber nicht ohne Hoffnung.
Grit Dora

http://www.senator.de/movie/a-most-wanted-man