2. April 2014

Pro und Contra »Grand Budapest Hotel«

Aufregung nicht nur in Sachsen
Pro und Contra »Grand Budapest Hotel«
Wer dieser Tage in Görlitz dreht, sorgt nicht nur in Sachsen für Aufregung. Nach Stephen Daldry (»Der Vorleser«) und Quentin Tarantino (»Inglourious Basterds«) nun also Wes Anderson. Die Redaktion des Kinokalender Dresden findet das super. Zumindest fast.

Pro Pro Pro:

„Matrjoschka-Taktik“ nennt man das wohl: Eins, zwo, drei, vier Anläufe benötigt Regisseur Wes Anderson, um überhaupt erst einmal zur Kerngeschichte seines Films vorzudringen. Ein junges Mädchen liest ein Buch über die literarisch ausgeschmückten Erinnerungen eines Autors, der in jungen Jahren einen Mann traf, der ihm erzählte, wie er einst als Page im »Grand Budapest Hotel« seine Ausbildung begonnen hat. Alles klar? Nein? Macht nix, denn im Anderson-Universum dient diese Exposition lediglich dazu, den Realismus zu minimieren und die Fantasie zu maximieren. Auftritt M. Gustave, ein edler, aufmerksamer, stets adrett gekleideter Concierge des ehrwürdigen Grand Budapest Hotels in der fiktiven Republik Zubrowka der 1930er Jahre. Was Anderson geritten hat, seinen Handlungsort ausgerechnet nach dem polnischen Wodka zu benennen, lässt sich nur vermuten. Vielleicht hat es mit den 40 Vol.-% zu tun? Allerdings ist (bisher) nicht bekannt, ob er ihn während des Schreibens konsumierte.

Doch zurück zum Film: M. Gustave ist der heimliche Chef des angesehenen Hotels und kümmert sich mit bewundernswerter Gelassenheit um die Erfüllung aller Wünsche jedes Gastes – noch bevor diese überhaupt wissen, dass sie etwas benötigen. Der Tod von der Hotelbesucherin Madame D. – angeblich Tilda Swinton, unter der Alt-Damen-Maske aber kaum zu erkennen – beschert Gustave überraschend eine Erbschaft und einen überaus begehrten Wertgegenstand, was die geizige Familie der Verstorbenen allerdings nicht akzeptieren will. So beginnt ein herrlich überdrehtes Katz-und-Maus-Spiel nicht nur durchs Grand Budapest Hotel, sondern ebenso durch ganz Zubrowka. Oder besser: Durch die wundersame Welt des Wes Anderson.

Die ist wie im stilistisch ähnlich gehaltenen Vorgänger »Moonrise Kingdom« derart stargespickt (inklusive deutscher Gesichter wie Zack Michalowski und Florian Lukas), dass es beinahe leichter wäre, alle Schauspieler aufzuzählen, die nicht dabei sind. Zeit für solche überflüssigen Spielereien bleibt freilich keine, wenn die Kamera im gewohnten Anderson-Stil stets in geraden Linien durch die Flure tanzt, abstrus-witzige Außenlandschaften preisgibt oder irren Verfolgungsjagden in Eiskanälen folgt. Die Figuren selbst, allen voran Ralph Fiennes als M. Gustave, erfreuen mit extremen Widersprüchen, da sie dem Zuschauer – Stichwort „Matroschka-Taktik“ – eben nicht nur aus der Sicht einer, sondern aus der Fantasie von vier Personen unterschiedlichen Alters präsentiert werden. So ist der Herr des Hauses einerseits ein hilfsbereiter Gentleman, andererseits ein Don Juan, der Frauen (und Männer?) jeden Alters reihenweise beglückt oder, sehr zum Leidwesen seines jungen Assistenten Zero (Tony Revolori), zumindest anflirtet.

Andersons Republik Zubrowka bleibt zwar von den politischen Ereignissen der Zeit nicht unbeeindruckt, Realitätsnähe ist hier trotzdem ein Fremdwort. Die Figuren bewegen sich steif, ihre mündliche Ausdrucksweise ist gekünstelt (aber voller Poesie) und ihr Benehmen eine Ansammlung sympathischer menschlicher Sonderlichkeiten. Dies ist freilich nichts für jeden, wer sich jedoch darauf einlässt, erlebt eine unterhaltsame Achterbahnfahrt, die laut lachen, mitfiebern und staunen lässt. Denn gleich der Hauptfigur aus seiner Zeit fällt auch »Grand Budapest Hotel« in seiner Form völlig aus dem Rahmen heutiger Filmerlebnisse, ähnlich wie es zuletzt Michel Hazanavicius mit dem stummen »The Artist« gelang. Apropos Sprache: Wer sich »Grand Budapest Hotel« im Original gönnt, darf sich zusätzlich auf einige eingestreute deutsche Wortwendungen freuen.

In diesem Sinne: „Ich bin gespannt wie ein Flitzebogen“ ob Ihnen, liebe Leser, dieser Film genauso gefällt wie mir.

Csaba Lázár


Ein junger Regisseur erzählte mir neulich, er sei nicht wirklich wild darauf, »Grand Budapest Hotel« zu sehen. Er erlebe gerade, wie die Frau eines seiner besten Freunde diesen auf Wes Anderson style – das sei ihm irgendwie zu viel. Die Hochwasserhosen und so. Ich ging also ins Kino, um Hosenbeinlängen zu checken. In einer der schönsten Einstellungen des Films sockt Willem Dafoe in schwarzen Strümpfen eine verschneite Gasse hinunter, nachdem er Jeff Goldblum dank lautlosen Anschleichens im Dresdner Zwinger präzise erledigt hat. Seine Schuhe hält er sorgsam in der Hand. Seine Hosenbeine sind auf eine unnachahmlich hippe Weise zu kurz. Ich möchte nicht die Hand dafür ins Feuer legen, dass alle Schauspieler in »Grand Budapest Hotel« ihre Hosen wie Wes Anderson tragen – schmal, elegant und Hipster-kurz. (Gefühlt tun sie es auf jeden Fall.)

Dazu war ich viel zu abgelenkt von den tonnenweisen Kurzauftritten der Stars – und mehr noch von ihren schnellen Abgängen. Kaum erschienen, schon verschwunden. Kommt Jason Schwartzman nicht noch mal? Was ist mit Bill Murray? Jeder hält auf unnachahmlich charakteristische Weise sein Gesicht in die Kamera und sondert zwei bis maximal zehn Sätze ab. Dann ist er weg. Eine Form von Name-Dropping, die nervt, weil sie vom eigentlichen Geschehen ablenkt - dem schnurrigen Krimi-Plot um den Antritt einer Erbschaft im fiktiven Zubrovka, einer skurrilen Landschaft mit noch skurrileren Leuten, der vor allem des Regisseurs Vorliebe für die Sonderlinge des Lebens illustriert. Der Showdown findet natürlich im Grand Hotel statt. Nett, dass Wes Anderson anhand der Hotelgeschichte das eigene Gewerbe beleuchtet. Wenn Monsieur Gustave H. wie ein König durch sein Reich schreitet und mit leichtem Lidzucken und minimaler Handbewegung aufs leichteste und effizienteste die Abläufe dirigiert, ist das auch eine schöne Parabel auf die Ausübung des Regieberufs.

Ralph Fiennes als mit allen (Duft)wässern gewaschener Concierge spielt aber vor allem den lebenden Verweis auf Menschlichkeit und die Bedeutung von Kultur unter widrigen gesellschaftlichen Bedingungen. Etwa temporäre Rückfälle in die Barbarei, sprich Krieg. Der Meister des Hotelgewerbes strahlt eine Welt heiterer Resignation aus. Das Lebensgefühl frei nach Stefan Zweig – „Die Welt von gestern“. Gustav H.s Techtelmechtel mit den angejahrten Hotelgästen, denen er auf jede erdenkliche Art und Weise zu Willen ist, sind sein Arrangement mit der Vergänglichkeit. Wenn einer weiß, was das ist, dann er. Ralph Fiennes spielt einen Menschen, der fähig ist, alles zu bejahen und zu lieben – außer Rohheit und Herzlosigkeit. Seine Präsenz verleiht dem Film Glanz.

Besser war Fiennes nie – auch nicht in »Der englische Patient«. Sein eigentlicher Co-Star ist nicht Tony Revolori als junger Lobbyboy Zero Moustafa, sondern F. Murray Abraham, der den gealterten Schützling und Erben von Gustave H. spielt. Er gibt mit Verve den melancholischen Grundton vor, den Ralph Fiennes dann mit unendlicher Leichtigkeit und Eleganz vertieft. Die beiden großen Mimen halten mit ihrem Spiel die klapprige Story zusammen und setzen nachhaltige Akzente. Sonst wäre »Grand Budapest Hotel« nur ein brillant gemachter Mummenschanz.
Grit Dora

http://www.akademiezubrowka.com