12. Mai 2015
Pro und Contra »Als wir träumten«

Publikumsliebling Andreas Dresen begeistert mit einem neuen Film – oder doch nicht? Die Redaktion des Kinokalender Dresden ist sich uneins.
Pro:
„Lieber Dschungel als Zoo“, sagte Andreas Dresen, als er nach der Dresdner Kinopremiere seines Filmes gefragt wurde, ob es nicht doch auch ganz gut war in der DDR. »Als wir träumten«, sein Film nach dem Buch von Clemens Meyer, schildert aus der Sicht einer Clique den rasenden Zerfall des seltsamen Käfigs DDR und die kurze Zeit danach, als die neuen Bundesländer noch der wilde Osten waren. Merlin Rose, Julius Nitschkoff, Joel Basman, Frederic Haselon und „Pitbull“ Marcel Heuperman spielen grandios die Jungs, die eben noch Pioniergedichte hergesagt und Katastrophenschutz geübt haben. Bei ihnen ist die Pubertät ein doppelter Fall ins Leere. Etwas, was da war, ist plötzlich weg – ein ganzes Bezugssystem. Das enge Land, dem die Enge der Wohnungen maximal entsprach, ist passé. Der Wegfall dieses hässlichen Zuhauses erzeugt eine krasse Heimatlosigkeit, die bei einigen in den totalen Absturz mündet. Merlin Roses spröde verletzlicher Dani ist die disparate Identifikationsfigur. Ein Typ, zurückhaltender, emphatischer und wohl auch vorsichtiger als seine Freunde. Eigenschaften, die ihn schützen, aber auch frühzeitig zum skrupulösen Verräter machen. Er, der sich nie so ganz hineinbegibt in die kriminellen Untiefen der vorübergehend fast rechtsfreien Zone, ist am Ende der einzige einigermaßen ungeschoren davon Kommende. Ein paar Jahre sind wie im Rausch vergangen. Technoclub, Vandalismus, Schlägereien, Drogen. Jetzt sind die Freunde tot, im Knast, Dealer oder einfach weg. Am Ende bleiben die Träume. Die wilde Zeit ist vorbei, die neuen Bundesländer sind befriedet.
Andreas Dresen kann Atmosphäre wie kein Zweiter. Auch sein neuer Film ist genau bis in die feinsten Detailverästelungen hinein, er zeigt das Leben der kleinen Leute schonungslos, ohne Sozialromantik und ohne Bloßstellung. Er zeigt die Leerstelle nach der Systemauflösung und das Fehlen annehmbarer Alternativen. Den Orientierungsverlust und die Wut. Aber auch die schöne Wildheit einer Jugend, die sich (noch) nicht abfindet.
Wenn die Jungs auf einen Peugeot eindengeln, einschlagen, eintreten, sieht man nicht nur, wie schwer es ist, ein Auto zu zerlegen. »Als wir träumten« ist einer der wenigen nicht anekdotischen Filme über die Wendezeit. Mit großartigem Cast und perfektem Soundtrack. Vor der Premiere hatte Andreas Dresen gewarnt: „Das ist nicht »Sommer vorm Balkon«, das ist auch kein Punk, das ist Techno.“
Grit Dora
Contra:
Dass "der neue Dresen" ein wenig anders werden würde, ließ schon das Plakat zum Film erahnen: »Als wir träu-mten« steht da in großen Lettern geschrieben, inklusive einer wirklich merkwürdigen Worttrennung. Rebellion? Unwissen? T9-Eingabe? Was auch immer den kreativen Kopf hinter dem Poster zu dieser Schreibweise bewegt haben mag, für das neue Werk des aus Gera stammenden Regisseurs Andreas Dresen passt es wie die Faust aufs Auge.
Womit bereits die von den Protagonisten des Films bevorzugte Art einer Unterhaltung benannt wäre: Gewalt und Aggressivität spielen eine überraschend große Rolle in »Als wir träumten«, der Adaption von Clemens Meyers gleichnamigem Erfolgsroman. Zwar hatten sich Dresen in früheren Arbeiten ebenso nie vor körperlicher Härte gescheut (siehe »Die Polizistin» oder »Willenbrock«), die permanente Auf-die-Fresse-Mentalität der jungen Akteure in seinem jüngsten Film überrascht dann aber doch. Es fällt lange Zeit schwer, diesen ständig unter Strom stehenden Jungs irgendetwas Positives abzugewinnen.
Dass sie im Inneren ihres Herzens gar nicht so böse sind, deutet Dresen ungewohnt halbherzig an: Statt 100 klauen sie einer alten Dame nur 50 Mark, einer einsamen Hausfrau tätschelt Dani (Merlin Rose) mal eben die Brüste, seine Mutter umarmt er an anderer Stelle kurz, nachdem ihn die Polizei mal wieder an der Haustür abgeliefert hat. Im krassen Gegensatz zu dieser holpernden Zärtlichkeit stehen unzählige Saufgelage, geklaute Autos und Sachbeschädigungen aller Art, die das Bild einer irgendwie verlorenen, desillusionierten und überforderten Generation malen sollen, in ihrer Masse aber einfach nur nerven. Denn wer so exzessiv lebt, ist in seinen wenigen ruhigen Momenten charakterlich nicht unbedingt glaubhaft. Zwar wirken die jungen Darsteller unverbraucht und hungrig, doch gelingt es ihnen kaum, den Figuren Einzigartigkeit zu verleihen – zu ähnlich sind ihre Süchte (Alkohol, Tabak, Drogen, Ungehorsam) und Träume (die Gründung eines Techno-Klubs), zu undifferenziert die Versuche, ihrem Leben eine neue Richtung zu geben. Kommt dann noch das ausgelutschte Klischee vom ‚gemeinsamen Neuanfang mit der Liebsten‘ hinzu, ist’s mit meiner Geduld endgültig vorbei. Überhaupt bleibt die Frage, weshalb unser Held Dani ausgerechnet der/dem schönen Sternchen (Ruby O. Fee) verfällt? Denn wer die Dauerfreundin eines Nazicliquen-Chefs ist, kann so clever nicht sein. Eine Antwort bleibt das Drehbuch vom sonst so versiert arbeitenden Wolfgang Kohlhaase leider schuldig.
An optischer Authentizität mangelt es »Als wir träumten«, dessen Handlung in der Nachwendezeit angesiedelt ist, indes nicht: Die Ausstattung ist bis zum Topflappen hin makellos, die Straßen und Orte haben den alten, zerfallenen DDR-Mief noch nicht abgeschüttelt. Mittendrin bahnt sich die elektronische Musik ihren Weg durch die Körper der Jugendlichen, die in zerfallenen Gebäuden ihr Glück im Endlostanzen suchen. Besser hätte man das Nachtleben Ostberlins Anfang der 1990er Jahre nicht einfangen können. Wenn nur der Rest des Films ebenso nah an der Wirklichkeit gewesen wäre wie bei Dresen sonst üblich! Andererseits, das Plakat hatte mich ja gewarnt: Irgendetwas stimmt hier nicht.
Csaba Lázár
Pro:
„Lieber Dschungel als Zoo“, sagte Andreas Dresen, als er nach der Dresdner Kinopremiere seines Filmes gefragt wurde, ob es nicht doch auch ganz gut war in der DDR. »Als wir träumten«, sein Film nach dem Buch von Clemens Meyer, schildert aus der Sicht einer Clique den rasenden Zerfall des seltsamen Käfigs DDR und die kurze Zeit danach, als die neuen Bundesländer noch der wilde Osten waren. Merlin Rose, Julius Nitschkoff, Joel Basman, Frederic Haselon und „Pitbull“ Marcel Heuperman spielen grandios die Jungs, die eben noch Pioniergedichte hergesagt und Katastrophenschutz geübt haben. Bei ihnen ist die Pubertät ein doppelter Fall ins Leere. Etwas, was da war, ist plötzlich weg – ein ganzes Bezugssystem. Das enge Land, dem die Enge der Wohnungen maximal entsprach, ist passé. Der Wegfall dieses hässlichen Zuhauses erzeugt eine krasse Heimatlosigkeit, die bei einigen in den totalen Absturz mündet. Merlin Roses spröde verletzlicher Dani ist die disparate Identifikationsfigur. Ein Typ, zurückhaltender, emphatischer und wohl auch vorsichtiger als seine Freunde. Eigenschaften, die ihn schützen, aber auch frühzeitig zum skrupulösen Verräter machen. Er, der sich nie so ganz hineinbegibt in die kriminellen Untiefen der vorübergehend fast rechtsfreien Zone, ist am Ende der einzige einigermaßen ungeschoren davon Kommende. Ein paar Jahre sind wie im Rausch vergangen. Technoclub, Vandalismus, Schlägereien, Drogen. Jetzt sind die Freunde tot, im Knast, Dealer oder einfach weg. Am Ende bleiben die Träume. Die wilde Zeit ist vorbei, die neuen Bundesländer sind befriedet.
Andreas Dresen kann Atmosphäre wie kein Zweiter. Auch sein neuer Film ist genau bis in die feinsten Detailverästelungen hinein, er zeigt das Leben der kleinen Leute schonungslos, ohne Sozialromantik und ohne Bloßstellung. Er zeigt die Leerstelle nach der Systemauflösung und das Fehlen annehmbarer Alternativen. Den Orientierungsverlust und die Wut. Aber auch die schöne Wildheit einer Jugend, die sich (noch) nicht abfindet.
Wenn die Jungs auf einen Peugeot eindengeln, einschlagen, eintreten, sieht man nicht nur, wie schwer es ist, ein Auto zu zerlegen. »Als wir träumten« ist einer der wenigen nicht anekdotischen Filme über die Wendezeit. Mit großartigem Cast und perfektem Soundtrack. Vor der Premiere hatte Andreas Dresen gewarnt: „Das ist nicht »Sommer vorm Balkon«, das ist auch kein Punk, das ist Techno.“
Grit Dora
Contra:
Dass "der neue Dresen" ein wenig anders werden würde, ließ schon das Plakat zum Film erahnen: »Als wir träu-mten« steht da in großen Lettern geschrieben, inklusive einer wirklich merkwürdigen Worttrennung. Rebellion? Unwissen? T9-Eingabe? Was auch immer den kreativen Kopf hinter dem Poster zu dieser Schreibweise bewegt haben mag, für das neue Werk des aus Gera stammenden Regisseurs Andreas Dresen passt es wie die Faust aufs Auge.
Womit bereits die von den Protagonisten des Films bevorzugte Art einer Unterhaltung benannt wäre: Gewalt und Aggressivität spielen eine überraschend große Rolle in »Als wir träumten«, der Adaption von Clemens Meyers gleichnamigem Erfolgsroman. Zwar hatten sich Dresen in früheren Arbeiten ebenso nie vor körperlicher Härte gescheut (siehe »Die Polizistin» oder »Willenbrock«), die permanente Auf-die-Fresse-Mentalität der jungen Akteure in seinem jüngsten Film überrascht dann aber doch. Es fällt lange Zeit schwer, diesen ständig unter Strom stehenden Jungs irgendetwas Positives abzugewinnen.
Dass sie im Inneren ihres Herzens gar nicht so böse sind, deutet Dresen ungewohnt halbherzig an: Statt 100 klauen sie einer alten Dame nur 50 Mark, einer einsamen Hausfrau tätschelt Dani (Merlin Rose) mal eben die Brüste, seine Mutter umarmt er an anderer Stelle kurz, nachdem ihn die Polizei mal wieder an der Haustür abgeliefert hat. Im krassen Gegensatz zu dieser holpernden Zärtlichkeit stehen unzählige Saufgelage, geklaute Autos und Sachbeschädigungen aller Art, die das Bild einer irgendwie verlorenen, desillusionierten und überforderten Generation malen sollen, in ihrer Masse aber einfach nur nerven. Denn wer so exzessiv lebt, ist in seinen wenigen ruhigen Momenten charakterlich nicht unbedingt glaubhaft. Zwar wirken die jungen Darsteller unverbraucht und hungrig, doch gelingt es ihnen kaum, den Figuren Einzigartigkeit zu verleihen – zu ähnlich sind ihre Süchte (Alkohol, Tabak, Drogen, Ungehorsam) und Träume (die Gründung eines Techno-Klubs), zu undifferenziert die Versuche, ihrem Leben eine neue Richtung zu geben. Kommt dann noch das ausgelutschte Klischee vom ‚gemeinsamen Neuanfang mit der Liebsten‘ hinzu, ist’s mit meiner Geduld endgültig vorbei. Überhaupt bleibt die Frage, weshalb unser Held Dani ausgerechnet der/dem schönen Sternchen (Ruby O. Fee) verfällt? Denn wer die Dauerfreundin eines Nazicliquen-Chefs ist, kann so clever nicht sein. Eine Antwort bleibt das Drehbuch vom sonst so versiert arbeitenden Wolfgang Kohlhaase leider schuldig.
An optischer Authentizität mangelt es »Als wir träumten«, dessen Handlung in der Nachwendezeit angesiedelt ist, indes nicht: Die Ausstattung ist bis zum Topflappen hin makellos, die Straßen und Orte haben den alten, zerfallenen DDR-Mief noch nicht abgeschüttelt. Mittendrin bahnt sich die elektronische Musik ihren Weg durch die Körper der Jugendlichen, die in zerfallenen Gebäuden ihr Glück im Endlostanzen suchen. Besser hätte man das Nachtleben Ostberlins Anfang der 1990er Jahre nicht einfangen können. Wenn nur der Rest des Films ebenso nah an der Wirklichkeit gewesen wäre wie bei Dresen sonst üblich! Andererseits, das Plakat hatte mich ja gewarnt: Irgendetwas stimmt hier nicht.
Csaba Lázár
