24. Juni 2015

Semipro zu »Lost River«

Das Regiedebüt einer der begehrtesten Hollywood-Akteure
Semipro zu »Lost River«
Ryan Gosling, momentan einer der begehrtesten Akteure in Hollywood, legt mit »Lost River« sein Regiedebüt vor.

Ein Semipro:
Endlich ist er da: mein "Was in aller Welt war das?"-Kinomoment 2015. Da warte ich jedes Jahr drauf. Diesmal ist es der Arthouse-Film »Lost River« geworden, das Regiedebüt von Schauspieler Ryan Gosling. Jener Schönling aus »Wie ein einziger Tag« und »Crazy Stupid Love“, jene coole Sau aus »Drive“, »The Place Beyond The Pines« und »Gangster Squad“. Kurz: Der 34-jährige Gosling tanzt auf vielen Hochzeiten, und das ziemlich gut. Nun also will er sich und uns beweisen, dass er auch den Job hinter der Kamera beherrscht, und zitiert sich dafür fröhlich durch seine eigene Filmografie.

Wobei "fröhlich" nicht unbedingt das richtige Adjektiv für seinen mystischen Leinwand-Erstling ist. Entstanden in den Ruinen des einst prosperierenden Detroits, das schon Jarmuschs »Only Lovers Left Alive« eine trostlose Atmosphäre verlieh, erzählt Gosling in »Lost River« von einer Familie im Zerfall: Mama Billy (Christina Hendricks) steht finanziell mit dem Rücken zur Wand, ihr Sohn Bones (Iain De Caestecker) legt sich mit einem verrückten Möchtegern-Gangster (Matt Smith) an, und Nachbarskind Rat (Saoirse Ronan) träumt von einem Neuanfang fernab der Geisterstadt. Während Billy versucht, in einem morbiden Nachtclub mit krassen Bühnenshows zu Geld zu kommen, hofft Bones, den Ort und seine Lieben von einem rätselhaften Fluch zu erlösen, der ihn zu einem überfluteten Freizeitpark führt.

Wie bitte kommt man auf so was, Mr. Gosling? Und reicht das tatsächlich für eine packende Handlung? Nach 95 Minuten in dieser sonderbaren Welt grummele ich „Nein“! Die Figuren bleiben profil-, die Geschichte spannungslos. Dafür gibt’s aber ordentlich Augenfutter! Sei es dank der anbetungswürdigen Hendricks, der schaurig-schönen Häuserreste links und rechts entlang der Straßen oder wegen des bemerkenswerten Filmschnitts: Goslings Regievorbilder Malick, Lynch und Winding Refn sind omnipräsent und zeigen, wohin die cineastische Reise gehen soll.

Das kann man alles prätentiös, anbiedernd und belanglos finden. Oder aber als weitere Erinnerung daran, dass Film eben nicht nur ein bloßes Unterhaltungsmedium ist, sondern zuallererst eine Form von Kunst; der Versuch eines Menschen, über ausgewählte Stilmittel seine Sicht der Dinge zu präsentieren, zum Nachdenken anzuregen, zum Streitgespräch zu provozieren. Zumindest Letzteres ist Gosling bei der Premiere in Cannes formidabel gelungen: Buh- und Jubelrufe hielten sich die Waage, den zahlreichen Verrissen in der internationalen Presse steht eine zweifache Nominierung beim Filmfest an der Côte d’Azur gegenüber.

Und ja, die gezeigte märchenhafte Trostlosigkeit in »Lost River« kann gern auch als Zeitdokument eines immer weiter zerfallenden Amerikas interpretiert werden: Wenn Städte sterben, Menschen ihr Geld mit dem Sammeln von Restmüll oder Auftritten in zweifelhaften Etablissements verdienen müssen und Freizeitparks, jene einstigen Oasen des Frohsinns, am Grund eines verdreckten Sees begraben liegen, sagt das viel über ein Land aus. Aber so was will ja leider kaum jemand (auch im Kino) sehen.

Csaba Lázár