Meine keine Familie
Ein Junge steht an einem Mikrofon. Um ihn herum ein Kreis von vielleicht 100 Menschen, Kinder und Erwachsene. Der Junge sieht unglücklich aus. Ein älterer Mann verlangt von ihm eine Darbietung, er soll lachen, der Ältere zieht ihm den Mundwinkel hoch. Er soll Mundharmonika spielen - der Junge weint, und alle sehen zu. Der Mann droht, er werde ihn mit Wasser überschütten, wenn er nicht Musik macht. Der Junge quält sich zu ein paar Tönen aus der Mundharmonika, aber er kann nicht. Der Mann beschimpft ihn und gießt ihm aus einer Flasche Wasser über den Kopf. Dann schickt er ihn ins Bett und droht: Morgen machen wir weiter. Der Junge geht, gebückt und gedemütigt, durch die Menge zur Tür. Niemand wendet sich ihm zu.
Der Mann ist Otto Muehl, Wiener Aktionskünstler und verurteilter Sexualverbecher, im Juni 2013 gestorben. Der Junge ist ein Freund des Filmemachers Paul-Julien Robert, der mit ihm in der Friedrichshof-Kommune bei Wien lebte. Er hat den Film »Meine keine Familie« über seine eigene Geschichte gedreht. Die Szene mit dem Jungen gehört zum Archiv-Material des Friedrichshofs, das Robert in seinem Film verwendet. In der Kommune lebten bis zu 500 Menschen. Als das Projekt 1990 beendet wurde, war Robert 12 Jahre alt. Zwei Jahre später hätte er sich von Claudia Muehl, der damals fast 40-jährigen Ehefrau von Otto Muehl, in die Sexualität einführen lassen müssen, so wie Otto Muehl es mit den weiblichen Jugendlichen tat.
20 Jahre später macht Paul-Julien Robert sich an die Aufarbeitung, filmt sich und seine Mutter im Gespräch und beim Anschauen von Archiv-Filme. Besucht mit ihr seinen Vater, auch ein ehemaliger Kommunarde. Seine Eltern sind sich schnell einig, dass sie sich auf gar keinen Fall Schuldgefühle machen lassen wollen. Sie wollten anders leben - kollektiv, mit gemeinsamem Eigentum und gemeinsamer Kasse. Die Verantwortung für die Kindererziehung wollte die Gruppe gemeinsam tragen. Was viele Kommunen und Gemeinschaften versuchen zu leben, waren auch Elemente des Friedrichshofs. Der Film zeigt, wie aus der schönen Utopie ein Albtraum wurde.
Elisabeth Voß
Buch: Paul-Julien Robert
Regie: Paul-Julien Robert
Kamera: Klemens Hufnagl, Fritz Ofner
Musik: Walter W. Cikan, Marnix Veenenbos
Produktion: FreibeuterFilm, Oliver Neumann, Sabine Moser
Bundesstart: 24.10.2013
Start in Dresden: 24.10.2013
FSK: ab 12 Jahren