Paradies: Glaube
Dem aufmerksamen Publikum wird es aufgefallen sein: Ulrich Seidl hat eine Trilogie fertig gestellt (der letzte Teil »Hoffnung« startet im Mai) und arbeitet die christlichen Tugenden ab. Inhaltlich sind die Filme nur lose verbunden. Anna Maria (Maria Hofstätter) hat - wie ihre Schwester aus »Paradies: Liebe« - Urlaub, verlebt diesen aber in ihrer Wohnung und in Stadtvierteln, in denen Migrantenfamilien wohnen. Dort klingelt sie an den Türen, im Arm eine Marienstatue, um mit den Menschen zu beten. Da so viel Schlechtes in der Welt ist, geißelt sie sich zu Hause regelmäßig und rutscht auf Knien durchs Haus, Gebete murmelnd.
Das wirkt in weiten Teilen dokumentarisch, die Kamera folgt Anna Maria bei ihren Verrichtungen in ihrem ordentlichen Haus und unterwegs in langen Einstellungen. Lange stellt sich kein Konflikt ein. Doch plötzlich sitzt Nabil (Nabil Saleh), Anna Marias Ehemann, in der Wohnung, zurück gekehrt aus Ägypten. Er ist gläubiger Moslem und zudem Patriarch, der meint, einen natürlichen Anspruch auf die Befriedigung seiner Bedürfnisse durch seine Frau zu haben. Nach einem Unfall sitzt er gelähmt im Rollstuhl. Anna Maria kümmert sich pflichtbewusst, aber völlig ohne Empathie um ihn und verwehrt ihm körperliche Nähe. Immer öfter prallen seine Ansprüche - untermauert von seiner Gläubigkeit - und ihr rigoroser Glauben aufeinander. Die beiden nehmen sich nichts in Härte, Aggression und Kompromisslosigkeit, und auch der Laiendarsteller Saleh muss sich hinter der Schauspielerin Hofstätter nicht verstecken.
Während »Paradies: Liebe« den Preis zeigt, den die kenianischen Männer und ihre „Sugermamas“ für die Erfüllung von Sehnsüchten zahlen, erleben wir in »Paradies: Glaube« ganz ähnliche Bedürfnisse, die sich jedoch einen anderen Weg bahnen. Anna Maria lebt eine keusche Jesusverehrung und lässt Härte gegen sich selbst für eigene und sogar fremde Sünden walten. Eine recht irdische Zuneigung zum Herrn Jesus wird allerdings nicht erst deutlich, wenn Anna Maria das Kruzifix mit unter die Bettdecke nimmt. Fast überflüssig zu erwähnen, dass Seidl sich treu bleibt und das Anschauen der perfekt komponierten Bilder schmerzhaft ist.
Der Film erlebte bei seiner Premiere in Venedig heftige Diskussionen und Proteste, was den Regisseur zu dem Kommentar veranlasste: „Ich ziehe den Aufruhr der Ruhe immer vor.“
Petra Wille
Buch: Ulrich Seidl, Veronika Franz
Regie: Ulrich Seidl
Darsteller: Maria Hofstätter, Nabil Saleh
Kamera: Wolfgang Thaler, Ed Lachman
Produktion: Ulrich Seidl Film Produktion, Société Parisienne, Tatfilm
Bundesstart: 21.03.2013
Start in Dresden: 21.03.2013
FSK: ab 16 Jahren