My Winnipeg
Was wäre wenn? Wenn man seine Kindheitserinnerungen, ganz gleich ob schaurige oder schöne, in einem einzigen, tiefgefrorenen Albtraum heraufbeschwören, zertrümmern und damit für immer loswerden könnte? Es gäbe wohl dutzende, hunderte, tausende solcher somnambulen Fluchtfantasien auf der Leinwand. Doch selbst dann würde Guy Maddins neuester Geniestreich noch alle anderen überragen. Der in Winnipeg aufgewachsene Regisseur verwandelt wieder einfaches, glattes Zelluloid in eine fiebrige Seelenwanderung. Maddin wurde geboren in der Eishockey-Umkleide, verbrachte seine Kindheit auf der Fernsehcouch und ist seither auf der Flucht aus der kältesten Stadt Nordamerikas. Immer schon waren die halluzinatorischen Schwarz-Weiß-Filme seine Tickets in die Freiheit der Fantasie. Dieses Mal plündert er sein privates 8mm Archiv und frisst sich durchs kanadische Dokumentarfilm-Depot. Unglaubliche Bilder kratzt er aus den vereisten Narben der Vergangenheit, säuselt einen hypnotischen Offkommentar und weiß die Klebestellen kunstfertig zu vintagieren, indem er den Geistern seiner Kindheit in nachgestellten Miniaturen Leben einhaucht. So schießen Bilder aus seiner tief verschneiten Erinnerung hervor, als sei die Leinwand umzingelt von Projektoren. Das Schlafzimmer über Lil's Beauty Shop, wo seine Träume nach Eitelkeit, Frauenschweiß und Kölnisch Wasser rochen, taumelt wie im Flockenwirbel gegen den täglichen Selbstmordversuch des Ledge Man oder das allgegenwärtige Schlüsselklirren der Winnipeger Schlafwandler. Maddin schichtet Dokumentarisches auf Privates, türmt die absonderlichsten Fakten auf zu einem Kaleidoskop der Kuriositäten. Der absurde If-Day, an dem sich Bürger der Stadt als Nazis verkleiden, um Winnipeg zu okkupieren, in Himmlerstadt zu verwandeln und so auf fröhliche Weise Kriegsanleihen einzutreiben. Eine Nilbrücke als Schnäppchen, zwei Taxiunternehmen, von denen eines nur Main-Streets und das andere nur Back-Lanes befährt, das Indianerreservat Happyland als Vergnügungspark, der von einer Bisonherde zum Einsturz gebracht wurde und nicht zuletzt the frozen race horses, einer der gruseligsten Momente der Kinogeschichte überhaupt; die im Red River erfrorenen Rennpferde.
alpa kino
Buch: Guy Maddin
Regie: Guy Maddin
Kamera: Jody Shapiro
Produktion: Buffalo Gal Pic., Documentary Channel, Everyday Pictures, Guy Maddin, Jody Shapiro, Michael Burns
Bundesstart: 11.11.2010
Start in Dresden: 09.12.2010