Inland Empire
Mit Schrecken erinnere ich mich an einen schlimmen Zwischenfall, der mir mit David Lynchs letztem Kinofilm »Mulholland Drive« widerfahren ist: durch Zufall stieß ich im weltweiten Wirrwar-Netz auf eine detaillierte und zutiefst philosophische Erläuterung des Film-Plots. Da war es aus und vorbei. Von dem Moment an hatte der Film seinen Reiz verloren. Mir war beim Studium jener Zeilen genau das abhanden gekommen, was jeden seiner Filme so interessant macht, das Transzendete, Unfassbare, das Flüchtige. Wir erinnern uns. Als Lynch mit den beiden schönen Frauen in einer chromblitzenden Limousine den »Mulholland Drive« entlang rollte, brachte ihm sein folkloristischer Voyeurismus noch eine Oscar-Nominierung für den besten Film ein. Lynch war en Voque. Und wo kleine Twists noch für allgemeine Erheiterung sorgten und ein übersichtlicher 10-Fragen-Katalog zur völligen Auflösung führte, da steht der Meister heute persönlich vor dem Pressemikrofon und weiß nicht genau, wovon »Inland Empire« eigentlich handelt. Fakt ist, sein neuestes Werk lässt sich nur schwer verkaufen, nur mühsam ertragen und mit Worten nicht erklären. Es hat den Anschein, dass Lynch der Stadt den Rücken gekehrt und sich in sein ländliches Königreich zurückgezogen hat. Er hat die Folklore eingetauscht gegen echtes Landleben. Laura Dern spielt Nikki Grace, eine ambitionierte Schauspielerin kurz vorm Comeback, und Nikki spielt Susan Blue in dem fürs Comeback vorgesehenen Spielfilm-Remake. Und vermutlich spielt Laura Dern auch sich selbst bei dem Versuch, die Hauptrolle im aktuellen Lynch-Film zu spielen. Ein Comeback gelingt ihr damit allemal. Es wird ein Film im Film gedreht und je mehr die Darsteller in ihre Rollen schlüpfen, bemächtigt sich der Plot von »On High In Blue Tommorrows« in immer eleganter geschwungenen Ellipsen ihres eigentlichen Lebens. Unvermittelt finden sie sich an Orten wieder, die zum Set gehören. Sie sagen Sätze, die aus dem Drehbuch stammen und verlieben sich ineinander. Wie die beiden Figuren der Geschichte. Obwohl Nikki/Susan das Drehbuch noch nicht zu Ende gelesen hat, befällt sie ein ungutes Gefühl. Denn sie glaubt mittlerweile, dass ihr Remake unter demselben bösen Fluch zu leiden scheint wie seinerzeit das polnische Original. Es wurde nicht fertiggestellt, weil die beiden Hauptdarsteller ermordet wurden. Laura/Nikki/Susan begibt sich auf die Suche nach dem verloren gegangenen Film. Dabei ist alles ganz einfach; „No hay banda - es gibt keine Band.“ Alles war nur Show im Club Silencio am Mulholland Drive. Und doch sang sich Rebekah Del Rio tief in unser Herz und ließ uns weinen…
alpa kino
Buch: David Lynch
Regie: David Lynch
Darsteller: Laura Dern, Jeremy Irons, Harry Dean Stanton, Justin Theroux, Ian Abercrombie, Terry Crews, Cameron Daddo, Karolina Gruszka, Kristen Kerr, Peter Lucas, Krzysztof Majchrzak, Masuimi Max, Stanley Kamel, Leon Niemczyk, Julia Ormond, Michael Paré, Heidi Schoo
Kamera: David Lynch
Musik: Angelo Badalamenti
Produktion: Studio Canal, Fundacja Kultury, Camerimage Festival, David Lynch, Mary Sweeney, Jeremy Alter
Bundesstart: 26.04.2007
Start in Dresden: 26.04.2007
FSK: ab 12 Jahren