Wolfzeit

Drama, Frankreich/Deutschland/Österreich 2003, 123 min

Was zuletzt auf Lars von Triers »Dogville« zutraf, gilt für Michael Hanekes (»Funny Games«, »Die Klavierspielerin«) neues Werk um so mehr: Mit »Wolfzeit« inszeniert er eine apokalyptische Gesellschaftsvision - anspruchsvoll, intensiv, experimentell, streitbar - und ‚lichttechnisch’ wohl einen der dunkelsten Filme der Geschichte.
Alles scheint ‚normal‘ zu beginnen, als Anne (Isabelle Huppert) mit ihrer Familie zum Landhaus fährt, um hier ein gemeinsames Wochenende zu verbringen. Dort angekommen, überraschen sie eine Flüchtlingsfamilie in ihrem Haus. Die folgende Auseinandersetzung mit den Eindringlingen endet für den Familienvater tödlich. Für Anne und die Kinder beginnt ein schmerzlicher Lernprozess - denn nichts ist mehr so, wie es noch vor kurzem war. Die unbekannten Fremden suchen samt Proviant und mit dem Auto der Familie das Weite. Für Anne bleibt keine Zeit zur Trauer, gilt es doch, elementare Grundbedürfnisse wie Hunger und Durst zu befriedigen. Im nahe gelegenen Dorf weist man ihre Bitte um Hilfe jedoch ab, und so schlägt sich die Familie bis zum Bahnhof durch, um hier mit vielen anderen Leidensgenossen auf einen Zug zu warten, der sie endlich wieder zurück in die Zivilisation bringt…
Realistisch, unspektakulär und eindringlich erzählt Haneke eine herausfordernde Geschichte, in der er die vermeintlich übergeordnete Katastrophe mit keinem Wort erwähnt. Seine großartigen Hauptdarsteller agieren teilweise nur als Silhouetten, denn auch in den Nachtszenen lehnte Haneke es ab, zusätzliches Licht einzusetzen. Diese formale Gestaltung gibt den Blick auf die wesentlichen Fragen frei: Was bleibt vom menschlichen Dasein, wenn alle gesellschaftlichen Normen nicht mehr gelten und nur noch instinktiv gehandelt wird? Wie verändert sich das menschliche Verhalten in extremen Situationen? Ein Lehrstück über die menschliche Psyche, das garantiert einen abendfüllenden Diskussionsstoff bietet.