Kadosh

Drama, Israel/Frankreich 1999, 110 min

Meir lebt mit seiner Frau Rivka im Jerusalemer Stadtteil Mea Shearim. Als Angehöriger der streng orthodoxen Haredim hat er sein Leben dem Studium des Talmud verschrieben. Dass seine Ehe nunmehr zehn Jahre andauert und immer noch kinderlos ist, wird vom Rabbi der Gemeinde mit zunehmenden Missfallen beobachtet. Ein Gynäkologe attestiert Rivkas Fruchtbarkeit, für Meir verbietet sich ein solcher Arztbesuch aus religiösen Gründen. Unter dem Druck des Rabbis trennt sich Meir von seiner Frau und heiratet eine Jüngere. Rivka verlässt das Haus. Rivkas Schwester Malka strebt dagegen nach Unabhängigkeit. Als ihr vom Rabbi der besonders eifrige Talmud-Schüler Yossef als Ehemann zugeteilt wird und der seine Eherechte in der Hochzeitsnacht mit Gewalt einfordert, regt sich ihr Widerstand. Doch erst durch das Schicksal ihrer Schwester akzeptiert sie ihren Widerspruch zum Glauben und verlässt die Gemeinde aus freien Stücken.
Der israelische Filmautor Amos Gitaï realisierte mit »Kadosh« (heilig) den abschließenden Teil einer Spielfilm-Trilogie, in der er spezifische Aspkete der drei Großstädte seines Landes beleuchtet. Nach »Devarim«, der in Tel Aviv angesiedelt war, und dem in Haifa spielenden »Yom Yom« folgte schließlich 1999 dieses Drama über Ergebenheit und Widerspruch zum streng orthodoxen Glauben in Jerusalem. Der Film fand als erster israelischer Beitrag nach 25-jähriger Abstinenz Aufnahme in den Wettbewerb der Filmfestspiele in Cannes.
»Kadosh« ist die eindringliche Auseinandersetzung mit religiösem Fundamentalismus in heutiger Zeit. Die präzise Beobachtung von Ritualen und Alltagsdetails schafft ein denkbar authentisches Gegenwartsbild, das durch lange Einstellungen und nuancierte Darstellung geradezu beklemmende Unmittelbarkeit im Blick auf die Figuren und ihre Konflikte erwirkt. Amos Gitaï zeigt die bittere Realität von Frauen in einer Struktur der patriarchalischen Allmacht, die nur Unterwerfung oder Flucht zulässt. Der Verzicht auf schnelle Lösungen oder leichtfertige Schwarz-Weiß-Verzeichnung zu Gunsten bequemer Identifikationsmuster liegt nicht zuletzt in Gitaïs künstlerischer Herkunft im Dokumentarfilm begründet, die »Kadosh« eine auch schauspielerisch tief greifende Wahrhaftigkeit einimpft.
Uwe Mies