Winterschlaf

Drama, Türkei/Deutschland/Frankreich 2014, 196 min

Die lose Folge beziehungsrelevanter Streitgespräche eines zwischen den besten Jahren festgefahrenen Ehepaares (die inhaltlichen Motive lassen sich zumeist wieder finden bei Anton Tschechow) ergeben hier so etwas wie das Trägermaterial, auf welchem famose Bilder einer erhabenen Weltkulturerbe-Landschaft ebenso ihren Platz finden wie die beklemmenden Interieurs eines in den anatolischen Bergen gelegenen Hotels. Hotelbetreiber ist der Ex-Schauspieler und Freizeit-Philosoph Aydin (türkisch für Intellektueller), der weder mit seiner Frau Nihal noch seiner Schwester Necla einen Konsens finden kann, über die selbstgefällige, zynische Art, mit der er seine Mitmenschen tagtäglich klein zu halten versucht. Finanziell unabhängig und intellektuell omnipotent bringt er sich selbst immer mehr in eine soziale Isolation, die sich nicht treffender illustrieren ließe als mit schönen, menschenleeren Cinemascope-Bildern aus dem verschneiten Kappadokien. Schuberts Klaviersonate in A-Dur beherrscht den Soundtrack, ein Gemälde Glasunows inspiriert das Filmplakat, Shakespeare, Molière und Tschechow dienen als Folien… Es gibt ein Kino, das muss man sich erkämpfen. Muss drücken, krallen, schwitzen. Jeder zurückgelegte Meter Film wird dann aber aufgewogen in der endorphinen Währung Glück. Wenn in einem Dreistundenfilm Szenen und Dialoge einander umschleichen, wenn die Gespräche auch nach dreißig Minuten Länge kein bisschen an Spannung verlieren, wenn Cannes' Goldene Palme von 2014 auf dem Plakat klebt und es dabei doch kein Tarantino-Film ist, und wenn das Setting ein winterliches Bergdorf in Anatolien ist, kommt eigentlich nur der türkische Dauerpreisträger Nuri Bilge Ceylan in Frage. Der mit seinem Vorgängerfilm »Once Upon A Time In Anatolia« 2011 in Cannes selber „nur auf Platz zwei“ kam, wohin er in diesem Jahr aber Xavier Dolans »Mommy« verwies. Wer nun also wissen will, welches cineastische Glücksgefühl noch schwerer wiegt als das des furiosen Kanadiers, braucht sich nur in die Kinosessel zu drücken, zu krallen und zu schwitzen.
alpa kino