Großes Kino für zu kleine (Zuschauer-)Köpfe?

Großes Kino für zu kleine (Zuschauer-)Köpfe? Christopher Nolans anspruchsvoller Blockbuster »Tenet« löst in der Redaktion des Kinokalender Dresden unterschiedliche Reaktionen aus.
Pro:
Auf diesem Film lasteten große Erwartung. Es ging quasi um die Rettung des Abendlandes, zumindest aber um die der westlichen Unterhaltungsindustrie (das war echtes Neuland, denn nicht nur im Film sondern auch in der Realität ging es um nicht weniger). Ein Fazit kann jetzt schon gezogen werden, die bisher über eine Million Besucher haben den deutschen Kinos etwas Luft verschafft und eine mögliche Normalität in diesem Segment aufgezeigt. Sozusagen Mission erfüllt und alles gut.
Natürlich wäre da noch die Frage nach der Qualität des Filmes. Da kann eine klare Aussage getroffen werden. Ein super Teil, fesselnde Geschichte, tolle Akteure, hochwertige Bilder und ein furioser Soundtrack. Klar können Puristen sich über physikalische Unstimmigkeiten und Plotlogik ereifern. Oder, dass der Russe mal wieder der Böse ist, die Kampfszene am Ende wie eine Parodie auf »Star Wars« wirkt etc. Aber dieser Kritik folgend, könnten wohl Dreiviertel aller Filme nicht erscheinen. Es ist nur Kintopp, besser ein Unterhaltungsfilm auf ganz hohem Niveau. Einer, der für Jahre Maßstäbe setzen wird und später wohl in einem Atemzug mit »Matrix 1« oder »Bladerunner« genannt werden wird.
Was will Frau/Mann noch mehr? Kino in Bestform, das unterhält, dabei geheimnisvoll und leicht verschroben daherkommt. Nebenbei auch noch verschiedenste Möglichkeiten für Fortsetzungen bietet, die dank der Möglichkeit der Navigation durch Raum und Zeit scheinbar endlos sind.
Aber vielleicht der Reihe nach. Christopher Nolan, der bereits mit seinem Erstling »Following« durch eine sehr eigene, rekursive Erzählweise bestach, optimiert seine Erzählweise in fast schon perfekter Art und Weise. Die wichtigsten Bereiche - Schauspieler, Ton und Bild - sind optimal umgesetzt.
Besonders John David Washington, die australische Schauspielerin Elizabeth Debicki, Robert Pattinson, der durch die »Twilight«-Sage berühmt wurde und sich seitdem sehr positiv entwickelte, und Aaron Taylor-Johnson stechen darstellerisch hervor. Nolan findet damit frische und durch Hollywood nicht verbrauchte Gesichter, die den Film im besten Sinn tragen (allein das Gesicht von John David Washington erzählt in seinen Nahaufnahmen endlose Geschichten). Abgerundet wird das kleine aber feine Ensemble durch die erfahrenen Kenneth Branagh und Michael Caine.
Auch wichtig für den Erfolg des Films dürfte die herausragende Kameraarbeit des niederländischen Kameramanns Hoyte van Hoytema sein. Der drehte bereits mit Nolan »Interstellar«. International bekannt wurde er durch den unglaublichen schwedischen Film, eine abgefahrene Mischung aus Arthouse und Horror fern aller gängigen Seh- und Erzählweisen »So finster die Nacht«. Erneut findet er eine einzigartige Bildsprache, die Nolens Vision in immer wieder verblüffende Bilder, die dabei ganz nahe an den Protagonisten bleiben, umsetzt.
Dann wäre da noch Ludwig Göransson, schwedischer Komponist und Musikproduzent, zu nennen. Sein Soundtrack begleitet den Zuschauer an vielen Stellen kaum wahrnehmbar durch den Film. Streckenweise wirkt er als autonome Audiospur, die den perfekten Ton für die Aktionen der Darsteller liefert. Und wenn am Schluss Travis Scott den Abspann rappt, ist es im besten Sinne zeitgenössischer Pop, der uns in die Wirklichkeit entlässt. Respekt für diese Leistung!
Mersaw
(Semi-)Contra:
Wie rezensiert mensch einen Film, den er nicht versteht? Vielleicht mit der Feststellung: Schön, dass es so was im Blockbuster-Kino noch gibt! Wobei, die »Transformers«-Reihe hab ich auch nie verstanden, aber das lag wohl mehr am eklatanten Defizit an inhaltlicher Logik und einem vernünftigen Filmschnitt. In Nolans »Tenet« hingegen gibt es eher einen Überschuss an Logik, der zum beständig anwachsenden Fragezeichen im eigenen Gesicht führt. Nicht, dass er uns nicht vorgewarnt hätte: Angefangen von seinem wunderbaren Erstling »Following« über die alles überstrahlenden »Inception« und »Interstellar« bis hin zum innovativsten Beitrag zum Kriegsfilm-Genre, »Dunkirk«, fordert der Brite sein Publikum immer wieder heraus und kredenzt damit großes Unterhaltungskino mit Anspruch.
Kaum verwunderlich also, dass ausgerechnet sein »Tenet« auserwählt wurde, der erste post-Corona-Lockdown-Film zu sein, der die Massen weltweit wieder in die Lichtspielhäuser locken soll(te). Nolan geht halt im Multiplex ebenso gut wie im Programmkino. Und verlangt gewöhnlich mindestens eine Zweitsichtung, was zusätzliche – bitter nötige – Einnahmen verspricht. So weit, so nachvollziehbar.
Was aber, wenn es nach dem ersten Anschauen ein »Star Wars: Episode 1 – Die dunkle Bedrohung«-Gefühl gibt? Wenn die lange geschürte Vorfreude auf ein neues Werk vom Lieblingsregisseur nicht ganz erfüllt wird und neben den vielen Fragezeichen im Kopf auch noch ein wenig Unzufriedenheit oder gar Enttäuschung auftaucht? Bevor hier falsche Vermutungen entstehen: »Tenet« ist w-e-i-t davon entfernt, ein mittelmäßiger oder gar schlechter Film zu sein. Er enthält schließlich all die Dinge, die Nolan so gut kann: Kreativität, Tempo, große Bilder, Überraschungen. Nur „berieseln lassen“ ist nicht, hier ist Konzentration und Wachsamkeit im Kinosaal gefordert.
Vielleicht war beides am Tag des Schauens bei mir nur rudimentär vorhanden. Nichtsdestotrotz hat Nolan, der das Drehbuch im Alleingang verfasste, diesmal den Bogen etwas überspannt. Dass er vom Konzept „Zeit“ und wie diese nicht nur auf Erzählebene manipuliert werden kann, fasziniert ist, kann man anhand seiner vorherigen Filme ausführlich begutachten. Bleibt jedoch die lauter werdende Musik in einer Szene für den Zuschauer der einzige Hinweis darauf, dass gleich etwas Spannendes passiert, ist beim inhaltlichen Aufbau zuvor irgendwas gehörig schief gelaufen.
Man kann es aber auch als Augenwischerei deuten: Denn ohne das ganze Zeitreise-Inversions-Gedöns wäre »Tenet« nicht mehr als ein – zugegeben schön anzusehender – James-Bond-Klon, in dem ein charismatischer Agent (John David Washington) einen Bösewicht (Kenneth Branagh) um den Globus jagt und dabei Bekanntschaft mit dessen schöner Gattin (Elizabeth Debicki) macht, die ihre eigenen Pläne verfolgt. Dazu gibt es von computergenerierten Effekten weitgehend befreite Actionszenen von »Mission: Impossible«-Ausmaßen und natürlich den obligatorischen Michael-Caine-Auftritt, der bisher in (fast) allen Nolan-Filmen mit dabei war. Was also gibt es hier noch zu meckern? Nüscht! Also her mit dem Ticket für den zweiten »Tenet«-Kinobesuch!
Csaba Lázár
https://www.warnerbros.de/kino/Tenet.html
