11. Dezember 2025

Im Kinosessel zusammengefaltet werden – Kolumne »Bugonia«, von Grit Dora

Yorgos Lanthimos’ Film macht genauso fertig wie Zeitung ­lesen. Neben dem aktuellen Popcorn-Kino kann man diese knochentrockene Gesellschaftssatire gut brauchen.
Im Kinosessel zusammengefaltet werden – Kolumne »Bugonia«, von Grit Dora

Es ist ja so: Muss Yorgos Lanthimos Emma Stone überhaupt noch fragen, wenn er einen neuen Film macht, oder verschickt er seine Drehbücher einfach mehr oder weniger kommentarlos an sie? Ihr viertes gemeinsames Werk jedenfalls liegt jetzt vor; ein rabenschwarzes, zutiefst verneinendes und Splatter-getränktes Statement, das seinen Ursprung, die südkoreanische SF-Komödie »Save the Green Planet!« (2003) nur als Startrampe nutzt.

Neben dem aktuellen Popcorn-Kino kann man diese knochentrockene, nach Blut, Schweiß und Tränen riechende Dosis Gesellschaftssatire gut brauchen, auch wenn die Handlung in einer der tiefen Einöden der USA spielt. Hat schon trotzdem allerhand mit uns zu tun. Die Geschichte zweier Cousins, die sich in Verschwörungstheorien verirrt haben und glauben, die mächtige CEO Michelle Fuller wäre eine Außerirdische, die die Menschheit auslöschen will klingt absurd, ist aber ein hübsches Zerrspiegelbild der gespaltenen Gegenwart. Wenn Michelle Fuller (Stone) in ihren sterilen, teuren Klamotten, als durchtrainierter und wehrhafter Inbegriff von Corporate-Gier vor den maroden, heruntergekommenen Kameras ihrer Entführer steht, fühlt sich das an wie ein Kammerspiel der nationalen Depression.

Stone spielt die knallharte Konzernchefin Fuller mit einer faszinierenden Mischung aus arroganter Distanz, Manipulationskunst und dieser latenten Gefahr, die man von ihr kennt – sie ist die perfekte Hülle für Lanthimos’ Zynismus. Aber dieser Film gehört letztlich Jesse Plemons, als dem so naiven, wie gefährlichen Verschwörungstheoretiker Teddy. In einer toxischen Symbiose der Extreme braucht der von Wahn zerfressene Außenseiter die eiskalte CEO, um seinem Verschwörungsglauben eine tödliche Legitimität zu verleihen. Plemons navigiert meisterhaft zwischen dem Lächerlichen des Wahnwitzes und einer tragischen, fast kindlichen Verzweiflung.
Eine spielerische Tour de Force, ein Gipfel der Schauspielkunst, den man allerdings  kaum genießen kann, weil die Situation radikal in Richtung Abgrund weist – kein Ausweg nirgends. Ihm zur Seite brilliert Aidan Delbis als Cousin Don, der als lethargischer Mitläufer das perfekte Gegenstück zum entflammten Teddy bildet; unfähig, sich zu artikulieren, in seiner White-Trash-Kruste feststeckend und dabei schmerzhaft empfindsam. Der unverkennbare Lanthimos-Stil, der skurrilen Humor mit kaltem Formalismus paart, erreicht in »Bugonia« eine neue, blutige Dimension. Die satirischen Seitenhiebe auf PR-Floskeln ("Diversity" als leere Hülle), den Verschwörungswahn und den heiligen, unstillbaren Wachstumszwang sind messerscharf, die Bilder fratzenhaft überzeichnet. Zunehmend findet blutige Gewalt statt bis hin zu ganz klaren Splatterelementen. Wenn in nervenzermürbender Ausführlichkeit zu Pop-Punk von Green Day ("Basket Case") gefoltert wird, kulminiert die Groteske in einem Moment grausam-komischer Brillanz.

Die finale Auflösung mit naiv verspieltem Hoffnungsschimmer ist in ihrer krassen Buntheit ein hübsch konsequent erzählter Schlag ins Gesicht der Menschheit. Ein zynisch-apokalyptisches Ende, das ja. Aber die Bienen leben weiter. »Bugonia« ist ein hochaktueller, so großartiger wie unangenehmer Film. Wer sich mehr davon zutraut, kann noch mit »After the Hunt« und »Eddington« nachlegen.

Grit Dora

https://www.upig.de/micro/bugonia