8. September 2010

»Inception« - Zweigeteilt

Pro & Contra zu Christopher Nolans Werk »Inception«
»Inception« - Zweigeteilt
Hat Warner Bros. seinen neuen Kubrick gefunden? Christopher Nolan gelingt das Kunststück, mit jedem neuen Film den eigenen Vorgänger zu übertrumpfen. Nach vier Anläufen gewährte ihm das Hollywoodstudio nun den „Final Cut“ für seine Werke, ein Zugeständnis, von dem zuvor nur Stanley Kubrick profitieren durfte. Übereifer oder Respektbekundung? Die Redaktion des Kinokalenders ist sich uneins.

Pro:
Bestaunt, gelobt, gefeiert: James Camerons Sci-Fi-Epos Avatar avancierte innerhalb weniger Wochen zum absoluten „Überfilm“, grenzenlose Lobhudeleien und Bewunderung seitens Kritiker und Publikum für den Regisseur, der ein neues Kapitel der Filmgeschichte eröffnet habe. Selten zuvor war es so schwer, eine gegensätzliche Meinung plausibel begründen zu können. Zweifel aufgrund fehlender inhaltlicher Tiefe oder überraschungsarmen Storyverlaufs wurden mit dem Argument hinweggefegt, man solle sich am Optischen ergötzen und die realistische Pandora-Welt genießen.

Der gebürtige Brite Christopher Nolan, spätestens seit The Dark Knight jedem aufmerksamen Kinogänger ein Begriff, hat mit Inception nun einen künstlerisch anspruchsvollen Gegenentwurf geschaffen. Ebenfalls allerorten bestaunt, gelobt und gefeiert, zeigt sich hier, woran es Avatar mangelt – und warum Inception die tatsächliche Zukunft des Blockbuster-Kinos sein sollte.

Grund 1: Wie in vielen seiner Werke zuvor ist Nolan ein Regisseur, der sein Publikum von der ersten Sekunde an fordert. Zu-Spät-Kommer, Quasselstrippen und SMS-Schreiberlinge haben vor seiner Leinwand keine Chance. Aufmerksamkeit ist Voraussetzung, Schlussfolgerungen werden dem Zuschauer überlassen. Ein Novum für Filme, die ein Budget jenseits der 100 Millionen Dollar vorzuweisen haben (und das schließt Avatar mit ein).

Grund 2: Während Cameron für sein dreistündiges Epos aus eigener Feder lediglich die Geschichte vom Einfall des Menschen ins Paradies variiert und als notwendiges Anhängsel seiner visuellen Wunderwelt mitschleift, schuf Nolan etwas gänzlich Neues: kein Comic, kein Buch, kein älterer Film dienten als Vorlage. Inception entsprang in all seiner grandiosen Komplexität dem Autor selbst. Erst danach ging es an die Umsetzung, die zwar von einzigartigen Effekten umrahmt, jedoch niemals angetrieben wird. Da wundert es kaum, dass Nolan von einer 3-D-Konvertierung absah, die seinem Drama – was Inception im Kern ist – keinerlei Nutzen beschert hätte.

Grund 3: Kino als mentale Herausforderung zu begreifen und zu erleben, statt „nur“ zu unterhalten, ist sicherlich nicht jedermanns Sache. Nur kann die Optik von Avatar mühelos kopiert werden, während ein Duplizieren des inhaltlichen Labyrinths von Inception wohl kaum gelingen wird. Das weiß auch Cameron, der bereits fleißig an den Effekten für zwei Fortsetzungen bastelt. Danach erst will er sich dem Drehbuchschreiben widmen. Vielleicht hofft er ja aber auch, bis dahin in das Unterbewusstsein von Nolan vordringen zu können. Denn dort schlummern ganz sicher noch einige bemerkenswerte Filmideen, die so einmalig sind wie diese. Und die brauchte Cameron selten dringender.
Csaba Lázár

Contra:
Für den Briten Christopher Nolan ging es nach Memento, einem wirklich cool und formal aufregend inszenierten Film, rasant aufwärts. Bereits fünf Jahre später schaffte er es, mit Batman Begins, einen Logenplatz in Hollywood zu ergattern. Eine wirklich beeindruckende Karriere, der er mit Inception die Krone hätte aufsetzen können. Schade, und das gleich vorab, dass ihm das nicht gelungen ist.

Nolan entführt den Zuschauer auf eine Verfolgungsjagd in eine unglaublich anmutende Traumwelt. Traumjäger Dom Cobb (Leonardo DiCaprio) versucht, mittels gemeinsamer Träume Geheimnisse direkt aus den Köpfen seiner Opfer zu entführen. Alles klar, es geht um große Dinge, potenziert um die unendlich scheinenden Möglichkeiten unserer Träume.

Erste Zweifel kommen allerdings nach dem einführenden Ritt durch zwei Schichten der Traumwelt der Teilnehmer. In der 60. Kinominute wird dann ein Jumbo in Australien bestiegen. Alle sechs Teilnehmer der Séance nehmen im Bug Platz und es beginnt bereits das Finale, die rasante Jagd durch drei Schichten, um einen Gedanken in den Kopf des bösen Leaders einzupflanzen. Die Story ist aufgeräumt, die Eröffnungssequenz wird lediglich um zwei Stationen in Paris und Nairobi, wo zwei weitere Teilnehmer für den großen Coup eingesammelt werden, ergänzt, um anschließend sofort zum Finale zu schreiten. Es ergibt sich so ein recht überschaubarer Plot für 142 Filmminuten. Da ist es nicht nur eine theoretische Gefahr, dass Zuschauer „aussteigen“.

Letztlich geht es in Inception um nichts weiter, als dass ein „guter“ Industrieller einem amerikanischen Magnaten, der nach dem Tod seines Vaters die Führung des Trusts übernimmt, im Interesse eines ethischen Kapitalismus oder des Weltfriedens – warum wird diese Frage nicht thematisiert? – die Idee einpflanzen will, dass er den Trust zerschlagen muss. Noch Fragen? Formal ist das beeindruckend umgesetzt. Doch bitte nicht als revolutionär und „Spagat zwischen Kunst- und Kommerzkino“ lobpreisen. Ein Vergleich mit Klassikern wie 2001 – Odyssee im Weltraum oder Matrix zeigt inhaltliche und ästhetische Defizite.

Inception ist zweifellos gutes Actionkino, aber eben nicht mehr oder weniger. Denn die inhaltlichen Schwächen sind zu offensichtlich. Da wäre die simple Handlung mit fraglichen Motivationen ihrer Helden, die undifferenziert gezeichneten Charaktere und die fehlende Tiefe (die nun wirklich nicht durch die ständig auftauchende, traumatisierte und verdrängte Ehefrau Cobbs ersetzt werden kann). Regelrecht ärgerlich sind die einem Computerspiel entnommen scheinenden stundenlangen nervenden Schießereien.

Natürlich geht es auch um unser Bewusstsein und Erweiterung, Unbewusstes und Verdrängung. Sorry, aber letztlich ist das nur Pseudo-BlaBla, aufgesetzter intellektueller Wackelpudding auf die dünne Actionstory und den ständig mit Leidensmine daherkommenden DiCaprio. Da schließt sicher der Kreis, Nolan ist ganz nah bei James Cameron, dessen einfacher Plot aber zumindest als universelle Suche nach dem Guten verstanden wird. Der aber hat mit seiner technischen Raffinesse ein Tor aufgestoßen - in eine neue Kinowelt.
Mersaw

http://wwws.warnerbros.de/inception/