Schoßgebete

Es ist nicht leicht für Elizabeth Kiehl (Lavinia Wilson), Analverkehr zu haben, ohne an Alice Schwarzer zu denken. Schon blöd, denn erstens will sie ihrem Mann verkehrstechnisch alles bieten und zweitens ist Sex das einzige Ding, was sie überhaupt minimal entspannt. Nicht, dass sie sich dann unbeschwert treiben lassen würde. Nein, von Loslassen zu sprechen wäre arg übertrieben. Elizabeth leidet an schwerem Kontrollzwang. Eins, zwei, drei, vier Eckstein - alles muss perfekt sein: Kindererziehung, Haushalt (Bio und Fairtrade), Job, Psychotherapie und die Bordellbesuche (am besten auch Bio und Fairtrade) mit ihrem Gatten. Jürgen Vogel stellt ihn als erfreuliches Mannsbild mit Bart, Brille und reichlich karierten Sakkos dar. Georg Kiehl ist ein bodenständiger Galerist, kaum aus der Bahn zu werfen. Ein Kerl, der auch mit Elizabeths Vergangenheit umgehen kann. Sie hat fast ihre gesamte Familie bei einem Unglück verloren, einem Unfall auf dem Weg zu ihrer ersten Hochzeit. Ihren starken Schuldgefühlen ist auch durch die Psychotherapie (Juliane Köhler als Dr. Drescher) schwer beizukommen. Die autobiografischen Bezüge in Charlotte Roches zweitem Bestseller wurden der Autorin wahlweise hoch angerechnet oder zum Vorwurf gemacht. Sönke Wortmann inszeniert wunderbar unaufgeregt die Geschichte einer lädierten Mittdreißigerin, die in Sachen Anspruch an das Leben im Allgemeinen für einen enorm hohen Wiedererkennungswert sorgt. Für berufstätige Mütter der Mittelschicht, die allzu vielen Rollenbildern gerecht werden wollen und sollen, ist Elizabeth Kiehl eine Identifikationsfigur sondergleichen. Lavinia Wilson zeigt, welch hohes Maß an Energie die Zielgruppe von „Brigitte Mom“ für die scheinperfekte Rollenbilderfüllung aufwendet. Damit könnte man riesige Areale elektrifizieren. Sie spielt den Kontrollwahn und die Verletzlichkeit Elizabeths mit Humor und selbstironischer Leichtigkeit ganz auf der Höhe der Vorlage.
Grit Dora