9 Leben
Tausende Kinder und Jugendliche leben ohne festen Wohnsitz. Wenn die Dunkelheit Schutz bedeutet und die Straße ihr Zuhause ist, dann würde man sie nicht vermuten in einem schneeweiß ausgeleuchteten Studio, umschmeichelt von Kameras; In einem preisgekrönten Dokumentarfilm stehen die verlorenen Kinder von Berlin Frage und Antwort. Dem Vernehmen nach sind sie durchweg ordentlich erzogen, sprechen in sorgsam gewählten Sätzen von ihrer Kindheit oder dem Hier & Heute und überraschen den Betrachter mit erstaunlichen Fähigkeiten. Za eröffnet den Reigen am Cello, stammt aus Kasachstan und nahm Reißaus vor den prügelnden Brüdern, ihre Mutter hatte sie fortgegeben, Gottlob nur zur Tante, fortan Mama Lena. Kruemel steht dem blonden Straßenkind, das obendrein Ray Charles vorträgt, aber auch in nichts nach. Hinter dem flotten Jazzgitarristen bei den Les Petits Hotz vermutet man nicht unmittelbar einen suizidgefährdeten Penner aus dem Strichermilieu, der auf der Flucht ist, seit er seines erhängten Vaters ansichtig wurde. Soja ging den Jakobsweg, Sunny führte viele Jahre ein ungefragtes Doppelleben und JJ hasst niemanden so sehr wie die eigene Mutter, diese Gebärmaschine ohne Schulabschluss. Würden sie alle ihre Schminke abwaschen, Ringe und Piercings daheim oder die dezent angelegte Rüstung im Schrank lassen, sie unterschieden sich kaum von „normalen Altersgenossen“. Wie Toni in seinem feinen Zwanzigerjahre-Zwirn, wenn er sich heute nur noch Musik und Beifall 'schießt'. Aber dann blickt Kruemel kurz hoch und berichtet davon, wie er mit zwölf alle Tabletten auffressen und sterben wollte. Dabei ist doch ein Kind etwas Besonderes! Keines sollte mit zwanzig noch hinter einer Mauer hocken und weinen wie die unbeirrbar scheinende Sunny. Man kann Regisseurin Marie Speth nicht genug danken für die Verblüffung, die einhergeht mit der wunderbar fotografierten und einzeln vorgetragenen Offenbarung einer Allerweltsweisheit; Kinder brauchen Zuneigung, Respekt und Liebe.
Buch: Maria Speth
Regie: Maria Speth
Kamera: Reinhold Vorschneider, Ingo Brückmann
Produktion: Madonnen Film, ZDF, Maria Speth, Brigit Mulders, Claudia Tronnier
Bundesstart: 19.05.2011
Start in Dresden: 23.06.2011
FSK: ab 12 Jahren