Der Vorleser

Drama, USA/Deutschland 2008, 124 min

Deutschland in den Jahren um 1950, Hanna Schmitz (Kate Winslet) hat eine Romanze mit dem fünfzehnjährigen Michael Berg (David Kross). Beide sind innig, beide verliebt. Des Paares große Leidenschaft ist die Literatur, weshalb Hanna sich von Michael alles zwischen Tschechow und Homer vorlesen lässt - da ihr angeblich seine Stimme gefällt. Doch eines Tages verschwindet Hanna abrupt und hinterlässt ihrem Romeo die schwere Aufgabe, sein Leben weiter zu leben, als wäre nichts gewesen. Acht Jahre später studiert er Jura und nimmt im Rahmen des Studiums an einer Exkursion zu einem NS-Kriegsverbrecherprozess teil. Da sieht er sie, Hanna Schmitz, ehemalige KZ-Wächterin in Auschwitz. Michael ist hin und her gerissen. Soll er seinem Drang für Gerechtigkeit folgen oder zu ihrer Verteidigung beitragen. Denn Michael kennt mittlerweile Hannas Geheimnis, eines, das viele ihrer Entscheidungen und vor allem ihre Taten erklären würde.
Ja, »Der Vorleser« erfüllt sämtliche Klischees eines Holocaust-Dramas. Die Schauspieler sind hochkarätig (Ralph Fiennes als älterer Michael), es basiert auf einem Buch und als Veröffentlichungszeitraum gibt es die Wochen vor der OSCAR-Verleihung. Doch es gibt auch einen großen Unterschied, der Fokus liegt nicht auf den Opfern sondern auf den Tätern. Die Buchvorlage war das erste Buch eines deutschen Autors, welches es zur Nummer Eins auf der Bestsellerliste der New York Times schaffte. Kein Wunder also, dass sich Regisseur Stephen Daldry, welcher sich schon mit »The Hours« in OSCAR-Nähe befand, sich dieses Stoffes annahm. Und ganz großes Plus, der Film wurde nicht nur in Görlitz sondern auch noch im Kirnitzschtal gedreht. Yeah!

Kate Winslet wurde für ihre schauspielerische Leistung 2009 mit einem OSCAR geehrt und äußerte sich in verschiedenen Interviews wie folgt:
Mrs. Winslet, nach eigenem Bekunden hatten Sie Angst vor der Rolle der Hanna Schmitz. Warum?
Sie ist ein komplizierter Charakter, und man trägt eine riesige Verantwortung. Ich fühlte mich wie das Gefäß für die Geschichte, dieses so hoch geschätzte Stück deutscher Literatur. Ich stelle mir bei jeder Rolle diese Fragen: Bringe ich als Schauspielerin genug Erfahrung und Können mit, um diese Rolle zu spielen?

Und wie war das hier?
Ja, das war so eine Herausforderung. Normalerweise nähere ich mich einer Figur emotional, aber bei Hanna fand ich zunächst nichts, was mich mit ihr verbindet. Dass sie, die reife Frau, eine leidenschaftliche Affäre mit einem 15-jährigen Schüler beginnt, war noch nicht einmal das Schwierigste. Schuld, Scham, ihr Alterungsprozess, ihr gebrochenes Herz, der Verlust der Liebe - das zu transportieren, ist schon gewaltig. Aber die Gerichtsszenen, bei denen sie mit ihrer Vergangenheit als KZ-Aufseherin konfrontiert wird, das war das Heftigste, was ich in meiner bisherigen Laufbahn erlebt habe. Nie zuvor hat mich eine Rolle so sehr an meine emotionalen Grenzen gebracht wie Hanna.

Was hat Ihnen dabei zu schaffen gemacht?
Es war schwer, Hanna zu verstehen, wenn sie den Richter ansieht und ihn fragt: „Was bitte hätten Sie denn damals getan?“ Ich fand es qualvoll, diesen Satz über die Lippen zu bringen, weil sie eine so verletzliche und gleichzeitig so schrecklich naive Frau ist. Offenbar wird ihr erst in diesem Moment bewusst, wie abscheulich ihre Arbeit im KZ war. In diesem Moment war ich sehr froh, einen Raum voller deutscher Statisten zu haben, die sich mit der Schuldfrage einer früheren Generation ihr ganzes Leben lang auseinandersetzen mussten.

Wie haben Sie Klischees vermieden, die bei einer solchen Rolle zwangsläufig unterlaufen können?
Bei der Gestaltung meiner Figur war mir klar, dass viele Leute bereits eine feste Vorstellung von Hanna hatten. Immerhin ist »Der Vorleser« ein gefeiertes Werk der deutschen Literatur. Abhängig von den eigenen Erfahrungen mit dem Holocaust haben viele Menschen sicherlich ganz andere Vorstellungen als ich darüber, wie man diese Figur anlegen sollte. Ich musste mich manchmal wirklich disziplinieren, nicht mit jedem eine Diskussion anzufangen, denn nur so konnte ich an dem Bild von Hanna festhalten, wie es in meinen Augen schlüssig war.

Auch wenn Sie erst mal nicht an Preise denken: Nach der Globe-Auszeichnung und vor der Oscar-Verleihung: Wie wichtig ist Ihnen so ein Preis danach?
Viele tun so, als hätten sie das nicht nötig. Ich würde das auch gern sagen. Aber die Wahrheit ist: Die meisten von uns Schauspielern sind sehr leicht zu verunsichern. Ich habe manchmal regelrecht Versagensängste. Wenn dann am Ende eine Auszeichnung in Form eines Preises dabei herauskommt, dann ist das mehr als eine Belohnung.

Der „Guardian“ schrieb neulich, Sie dominierten heute das Kino wie Meryl Streep in den Achtzigern, die „Sun“ beschreibt sie als „titanic actress“, der „Oberserver“ als „stärksten Filmstar. Wie bleibt man da noch auf dem Boden?
Fucking don’t know, love. Ich habe verdammt noch mal keine Ahnung. Mir geht es aber nie darum, Erfolg zu haben oder die Lorbeeren einzuheimsen. Ich tue es, weil ich es liebe. Es ist meine große Leidenschaft.
José Bäßler