Der Wind

Drama, Argentinien/Spanien 2005, 100 min

Als erstes hört man den Wind, und dann sieht man Jose Osorio. Der weißhaarige Mann, den alle nur Frank nennen, steht am Fenster seiner Hütte. Sein Blick streift die dürren Gräser und geht ins Leere. Wie der Anruf bei seiner Enkelin Dr. Alina Osorio. Frank hinterlässt keine Nachricht auf dem Band, sondern setzt seinen Hut auf, nimmt den Koffer und macht sich auf den Weg zu ihr nach Buenos Aires. Denn soeben hat er seine Tochter Ema beerdigt, Alinas Mutter. Die 2000 Kilometer überwindet Frank leichter als die Entfremdung, welche zwischen ihm und seiner Enkeltochter herrscht. Zehn Jahre hatte sie nichts von sich hören lassen, tot könnten sie alle inzwischen sein und Alina hätte es nicht bemerkt. Doch die leisen Vorwürfe prallen ab an ihr. Alina arbeitet als Ärztin. Tagsüber rettet sie Leben, nachts betrügt sie ihren Freund Diego mit einem verheirateten Kollegen. Sie lebt, ist sich jedoch nicht im Klaren darüber, wo sie hinwill. Mit voller Absicht hat sie sich sehr weit weg von zu Hause ihr eigenes Leben eingerichtet. Doch mit der Trauer um ihre Mutter kehren auch die Fragen zurück, die sie längst verdrängt glaubte. Sie wollte die alten Geschichten hinter sich lassen, wollte nicht mehr länger nach ihrem Vater fragen oder sich mit den Zweifeln plagen, ob sie nur ein „Unfall“ oder ein gewolltes Kind gewesen sei. Frank gibt ihr behutsam Stück für Stück von sich selbst zurück, denn er hat alle Wahrheiten in seinen Koffer gepackt und mit nach Buenos Aires gebracht. Vor allem die Briefe von Ema, die sie vor dreißig Jahren schrieb, während sie mit Alina schwanger war. Und die der jungen Frau jetzt einen Weg aufzeigen, wo sie selbst von einem verheirateten Mann ein Baby erwartet…
Regisseur Eduardo Mignogna mochte man kaum glauben, als er sagte, dass er seit 64 Jahren an diesem Stoff gearbeitet hatte. Der 65jährige muss wohl als erstes den Wind gehört und nach und nach die Geschichten Patagoniens in sich aufgesogen haben. Später hat er seine Vorfahren in Italien besucht, das raue Land dort und die nicht minder rauen Sitten studiert. Und darauf gewartet, dass Antonella Costa nach Argentinien zurückkehren und Federico Luppis graues Haar endlich weiß werden möge. 2005 war es dann soweit. Eduardo Mignogna hatte die lange Reise beendet und zweifelte nun, altersweise und spöttisch schmunzelnd, ob er „noch einmal etwas zu sagen haben werde“, nachdem er seinem Traum so nahe gekommen war. Er starb im Oktober dieses Jahres. Und hinterließ eine ganz wundervolle Geschichte von der Schuld, die ein Mann auf sich lädt, wenn er mit allen Mitteln versucht, seine Familie zu beschützen und von dem unschätzbaren Wert, längst vergessen geglaubte und von anderen Menschen aufbewahrte Erinnerungen zurück zu bekommen. C.Fredo