Die andere Seite des Mondes

Drama, Kanada 2003, 105 min

Es gibt Orte und Momente der Schwerelosigkeit im Leben. Die zwei ungleichen Brüder Andre und Philippe finden in einem solchen Moment wieder zusammen, als beider Mutter stirbt und sie daher gezwungen sind, eine Art Ankopplungsmanöver durchzuführen. Selbst für physikalisch ungebildete und Normalsterbliche funktioniert dieses Raumfahrerbild. Für Philippe, der seine Freizeit allerdings ausschließlich im Weltall verträumt, steht die Tatsache von den zwei völlig verschiedenen Umlaufbahnen der Geschwister unumstößlich fest. Der pragmatische Andre vermag in der Waschmaschinentrommel nur die Wäsche zu sehen, während der Bruder durch sie hindurch, einem Raumschiffbullauge gleich, weit ins All hinausschaut. Seine geheimen Träume gehören dem Vater der Raumfahrt Konstantin Ziolkowski. Ein wenig weltfremd und abgehoben werkelt er schon seit Jahren vergeblich an seiner Doktorarbeit herum. Für Andre hat der Himmel nichts Geheimnisvolles, denn als Wetteransager entreißt er ihm quasi jeden Abend alles vage und stopft es in Tabellen und Zahlen. Der kanadische Theatermagier Robert Lepage spielt das Zwillingsgestirn mit einer solchen grundverschiedenen Intensität, dass man zunächst ungläubig dreinschaut. Doch bald schon schwebt man von einer Szene zur nächsten, taucht ins Goldfischglas so selbstverständlich ein wie in die vielen verschiedenen kleinen gedanklichen Scharmützel. Bei jeder neuen Umrundung bietet sich dem Betrachter ein verändertes Bild auf zwei Menschen, die langsam wieder lernen müssen einander zu verstehen, zu respektieren und zu lieben. Fein säuberlich fädelt dieser außergewöhnliche Streifen kleine, glänzende Perlen auf eine unsichtbare Schnur und schleppt diese wie einen Kometenschweif durch die Geschichte.