Day Night Day Night
Eine junge Frau kommt nach New York. Sie ist 19 Jahre alt, hat keinen Akzent, ist keiner bestimmten ethnischen Gruppe zuzuordnen, ein vollkommen unauffälliger Mensch. Sie hat sich einer Organisation als Selbstmordattentäterin zur Verfügung gestellt und ist nun gekommen, um ihren Auftrag zu erfüllen: auf dem Times Square eine Bombe zur Explosion zu bringen.
Der Film folgt der jungen Frau Schritt für Schritt zwei Tage und zwei Nächte lang. Von den Organisatoren des Anschlags wird sie vorbereitet. Sie verliest eine Nachricht vor einer Videokamera, wird eingekleidet. Sie bekommt einen schweren Rucksack angepasst, der die Bombe enthält. Sie wartet. Sie ist bereit. Dann beginnt die Aktion. Sie macht sich auf den Weg zum Times Square, alleine. Die Stadt mit ihrem Lärm, ihren Menschen, ihren Lichtern verstört und überwältigt sie. Schließlich kommt sie an den belebten Straßenübergang, an dem sie den Zünder betätigen soll. Sie weiß, dass sie nicht zurück kann…
„Es gibt keine einfache Erklärung, keine Auflösung, keine falsche Beruhigung - nur Rätsel und Widersprüche, Anzeichen des Zögerns inmitten verbissener Entschlossenheit, Hinweise auf Zweifel inmitten der Gewissheit, winzige Momente absurder Komik inmitten der potentiellen Tragödie. Ich fühle mich unwohl mit der Idee der Vermenschlichung der Figur eines Selbstmordattentäters, ganz sicher unwohl mit der Vermenschlichung der Tat an sich, und dennoch wurde ich hineingezogen in das, was an diesem Charakter das Menschlichste ist - ihre Verletzlichkeit, ihr Hunger, ihre Langeweile, ihre Desorientierung. Das Warum bleibt außerhalb der Leinwand. Und außerhalb der Leinwand ist die Welt. Es gibt sehr reale, komplexe soziologische und politische Hintergründe von Selbstmordanschlägen - der Film will das auf keinen Fall bestreiten. Aber es ist nicht meine Aufgabe, eine säuberlich verpackte Politikstunde anzubieten. Ich will dem Publikum nichts beibringen, schon gar nicht etwas, das es längst weiß. Ich vermute, dass das Publikum, das kommt, morgens die Zeitung gelesen hat; ich vermute ein Publikum, das den Film in sein eigenes Verständnis der Zusammenhänge einordnet. Ein Film wird naturgemäß von der Leinwand begrenzt. Die Zusammenhänge gehen über die Leinwand hinaus.“ (Julia Loktev)
Die in Russland geborene, seit Jahren in Amerika lebende Julia Loktev arbeitet in erster Linie als bildende Künstlerin. So verwundert es nicht, dass ihre Herangehensweise ans Kino wenig mit konventionellen narrativen Strukturen, mit Figurenmotivation und -entwicklung zu tun hat. Vom ersten Moment des Films steht vor allem die von Luisa Williams gespielte Attentäterin im Fokus der Kamera. Konsequenterweise trägt sie keinen Namen, selbst im Abspann wird sie als „Sie“ bezeichnet. Der Effekt ist ebenso eindringlich wie erschreckend: Der Zuschauer entwickelt große Sympathie mit ihr, versucht sie zu verstehen, ihre Motive zu begreifen und hofft letztlich gleichermaßen auf den Erfolg des Attentats, aber auch auf ihr Überleben. Nicht zuletzt dieser Zwiespalt macht »Day Night Day Night« zu einem faszinierenden Film, der lange nachhallt.
Buch: Julia Loktev
Regie: Julia Loktev
Darsteller: Luisa Williams, Josh P. Weinstein, Gareth Saxe, Nyambi Nyambi, Frank Dattolo, Annemarie Lawless
Kamera: Benoît Debie
Produktion: FaceFilm, arte, ZDF, Julia Loktev, Melanie Judd, Jessica Levin, Burkhard Althoff, Doris Hepp
Bundesstart: 25.09.2008
Start in Dresden: 19.03.2009