Jud Süß - Film ohne Gewissen

Drama, Österreich/Deutschland 2010, 120 min

1939 gibt Goebbels persönlich den Propagandafilm »Jud Süß« in Auftrag. Rund 20 Millionen sehen den Film im besetzten Europa. Für die Beteiligten am Film winken im Dritten Reich Ruhm und Geld, nach 1945 wird sich distanziert und reingewaschen. Bis heute darf der Film in Deutschland nur mit einem begleitenden Kommentar sowie unter Auflagen gezeigt werden (Vorbehaltsfilm). Nur eine deutsche Geschichte, die sich variiert wiederholt und wiederholen wird?
70 Jahre später hat sich Oskar Roehler (»Elementarteilchen«) des Stoffes angenommen. Er verdichtet die Geschichte und stellt Ferdinand Marian ins Zentrum des Geschehens, der von Tobias Moretti großartig in seiner Zerrissenheit gespielt wird. Sein Gegenüber Joseph Goebbels wird von einem bestens aufgelegten Moritz Bleibtreu keineswegs als platte Karikatur oder Parodie gegeben. Bleibtreu gelingt es, diesen Herren als zielbewussten und keineswegs unsympathischen Machtmenschen darzustellen. Einen, der mit den modernen Medien spielt und diese sehr genau für die Durchsetzung seiner Ziele einsetzt. Einer, der weiß, dass es eben keine plumpe Propaganda sein darf, dass die Botschaft auf subtile Art vermittelt und der Zuschauer emotional gepackt werden muss.
Mit seinem Film provoziert Roehler bei der diesjährigen Berlinale einen Skandal. Die Presse reagiert sehr emotional und zerriss den Film. Die Reaktion erscheint mehr als fraglich. Ebenso, ob das kritisierte Hinzufügen historisch nicht belegter Fakten zulässig ist und dem Film schadet.
Handelt es sich doch um einen Spielfilm und keine Doku, eine freie Auslegung der historischen Fakten ist somit legitim. Die Geschichte der Entstehung des berüchtigten Films soll dem Zuschauer Interessantes über Geschichte, Propaganda, menschliche Schwächen und Schicksale erzählen und eben emotional anrühren und anregen.
Jeder sollte sich seine eigene Meinung bilden. Denn entstanden ist ein sehr glaubwürdiger und intensiver Film, der von den Verstrickungen in ein unmenschliches System erzählt. Glaubhaft werden schwierige persönliche Entscheidungen dargestellt und von der Korruption durch die Mächtigen erzählt.
Mit seinem hervorragenden Darstellerensemble entwickelt Oskar Roehler das Drama am Rande der großen Tragödie. Goebbels persönlich räumt für seinen Lieblingsregisseur Veit Harlan (Justus von Dohnanyi) die Schwierigkeiten aus dem Weg. Denn mit der Besetzung des „bösen Juden“ sieht es anfänglich schwierig aus. Die angefragten Schauspielergrößen lehnen dankend ab. Schließlich gelingt es Goebbels, den nicht so etablierten, aber seiner Meinung nach bestens geeigneten Ferdinand Marian mit einer Mischung aus Schmeicheln und Druck zur Mitwirkung zu gewinnen. Marian, schwankend zwischen Karrierechance und der Angst vor einem Propagandaschinken, nimmt sich vor, dem tragischen Helden des Streifens ein menschliches Gesicht und Authentizität zu geben. Genau das aber wird erwartet, zwar nicht von Harlan, aber vom Auftraggeber.
Seine Premiere erlebt das Werk bei der „deutsch-italienischen Filmkunstwoche“ in Venedig, sogar der junge italienische Filmkritiker Michelangelo Antonioni ist begeistert. Dem kurzen, rauschhaften Intermezzo folgt der Einsatz im besetzten Europa und die Tournee der Filmcrew, die von Berlin über Posen bis ins im Aufbau befindliche Auschwitz führt. Marian durchschaut erst jetzt das Ausmaß seiner Verstrickung und ergibt sich dem Suff…