Café Belgica

Komödie/Drama, Belgien/Frankreich/Niederlande 2016, 127 min

Als mir ein alter Mann in den 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts vor dem „Golden Hufeisen“ erzählte, dass es vor dem Krieg auf der Alaunstraße der Dresdner Neustadt 24 Kneipen gegeben haben soll, war das für mich eine schier unvorstellbare Situation. Nicht allzu lang später, die etwas ältere Generation wird sich sicher noch erinnern, wie ab der Wende 89 das stationierte Getränkeleben, vor allem in der Dresdner Neustadt, förmlich explodierte. Einige der Betreiber waren oft Glücksritter aus den alten Bundesländern, die den Bedarf nach Begegnungsstätten der Trunksucht und Bachanalen witterten und zum Teil auch die nötigen Erfahrungen und finanziellen Background mitbrachten. Da brannte oft die Luzie, der Bär steppte im Kettenhemd und ich möchte nicht nachrechnen, welche Beträge damals durch meine Gehirnzellen flossen. Manche dieser legendären Wirtshäuser gibt es heute noch, doch viele kamen und gingen. Ob belgische Kneipiers mit am Start waren, entzieht sich meiner journalistischen Kenntnis und sollte eigentlich auch nur dazu dienen, eine inhaltliche Kurve zum hier vorlegenden Film des Regisseurs Felix van Groeningen (»Die Beschissenheit der Dinge«, »The Broken Circle«) zu schlagen. Jo (Stef Aerts) ist ein schmächtiger Kerl, der eigentlich Musik machen wollte und irgendwann mal die abgewohnte Kneipe „Cafe Belgica“ übernommen hat, die in den Jahren zu einer heruntergekommenen Absteige verkommen ist und auch nicht mehr den großen Bolero abwirft. Jos älterer und vor allem partyaffiner Bruder Frank (Tom Vermeir) ist hingegen ein rastloser Typ, der zwar immer viel Ideen auf Tasche hat, aber keine so richtig zu Ende bringt. Über die Jahre haben sich beide aus den Augen und aus dem Sinn verloren. Frank sucht Jo nicht ganz uneigennützig in seiner Bar auf und bietet ihm an, am Wochenende am Tresen auszuhelfen, um A aus seinem geordneten Familienleben ausbrechen zu können und B die mit den Jahren verloren gegangene brüderliche Beziehung wieder in Gang zu bekommen. Frank erkennt rasch das Potential der Location und beide beginnen nun, Bands zu engagieren und schwerst den Beat toben zu lassen. Das Cafe kurzum zum „Ort der Verdorbenheit“, zu einer verdammten Arche Noah des Exzesses zu erklären. Der Laden brummt, die Kasse klingelt, die Kundschaft zahlt und schnell entwickelt sich der Laden zu einem der angesagtesten Clubs der Stadt Gent. Sekt, Kaviar, wilde Weiber, Drogenexzesse, Sex änd Rock’n’roll. Eine never ending Party mit ordentlich Restblut im Alkohol. Doch der permanente Trip lässt Frank die Bodenhaftung verlieren, ihn allmählich die Kontrolle über sein Leben entgleiten und droht die Beziehung zu seinem Bruder wieder zu zerstören. Aber Blut ist dicker als Hopfenblütentee. Hypnotisch exzessiver Film, der einen direkt aus dem Kino in die nächste Bar führen sollte.
Ray van Zeschau (empfiehlt Rosis Amüsierlokal)
Ray van Zeschau