Die Sprache des Herzens - Das Leben der Marie Heurtin

Drama, Frankreich 2014, 94 min

Ein Mädchen in zerrissenem Kleid, mit schmutzigem Gesicht und blutigen Knien hat sich in einen Baum geflüchtet. Eine Nonne klettert hinauf, nimmt seine Hand und lässt sich das Gesicht betasten. Das Mädchen heißt Marie, und die Nonne, Schwester Marguerite, spürt, dass diese Wilde, die in eine Welt der Finsternis und der Stille eingesperrt ist, ihr Schicksal sein wird. In ihr Tagebuch notiert sie: „Wie kann ich mit ihr sprechen, sie hören?“ Gar nicht, lautet das Fazit nach einigen Monaten. Sie empfindet ihr Leben mit Marie - allein der Versuch, ihr die Haare zu kämmen, gerät zum erbitterten Zweikampf - zur Tortur.
Regisseur Jean-Pierre Améris hat die Geschichte der taubblinden Marie Heurtin (1885-1921) verfilmt, aber nicht als Historienfilm, sondern als Parabel auf die Möglichkeit des Menschen menschlich zu sein. Er zeigt, dass man mit den Fingern sprechen kann und dass in ihnen manchmal das Herz sitzt. Er hat einen unglaublich körperlichen Film gedreht, der mit wenigen Worten und einigen Celloklängen auskommt, aber eine ganze Welt an Geräuschen bietet und mit Isabelle Carré und der völlig unbekannten Ariana Rivoire zwei Darstellerinnen von fesselnder Präsenz.
Zuletzt schaut Marie hinauf in den Himmel und erzählt Marguerite, dass ein neues Mädchen angekommen ist: „Es ist wie ich taub und blind und es riecht nach Brot.“
Udo Lemke