Boyhood

Drama, USA 2014, 166 min

Richard Linklater ist ein besonderer Filmemacher, sehr gern betrachtet er Geschichten über lange Zeitspannen hinweg. In »Before Sunrise«, »Before Sunset« und »Before Midnight« erzählte er von 1995 bis 2013 die Liebesgeschichte zwischen Jesse (Ethan Hawke) und Celine (Julie Delpy). Seit 2002 trieb er auch ein weiteres Projekt voran, das mit einem 6-jährigen Hauptdarsteller begann. Sie drehten nur wenige Tage im Jahr, insgesamt kamen so 39 Drehtage über zwölf Jahre zusammen. So entstand ein wunderbarer Film von drei Stunden, dem man am liebsten noch länger zusehen möchte.
Jemandem beim Kind sein zusehen? Und beim Größerwerden - wo liegt da der Reiz? Zunächst hat Ellar Coltrane als Hauptfigur Mason eine offensichtliche Begabung, vor der Kamera natürlich und selbstverständlich zu wirken. Seine Eltern Olivia und Mason Sr. werden von Patricia Arquette und Ethan Hawke fabelhaft gespielt und ganz nebenbei ebenso über die Jahre beim Älterwerden beobachtet. Linklater hat an Begebenheiten dankenswerterweise nur wenige dramatische Momente ausgewählt, meistens sehen wir einem Jungen in seinem Alltag zu: Es gibt regelmäßige Treffen mit dem getrennt lebenden Vater, der über die Jahre vom unbekümmerten Lebenskünstler zum eher braven Familienpapa wird. Seine Mutter kümmert sich allein erziehend um ihre Karriere, studiert noch einmal und wird schließlich Unidozentin. Das führt zu Ortswechseln und Umzügen, ebenso wie die neuen Beziehungen, die sie eingeht. Mit den neuen Männern in ihrem Leben muss sich auch Mason immer wieder arrangieren - er wird im Laufe des Films zum sensiblen Teenager mit einer Vorliebe für Kunstfotografie und ist immer weniger bereit, Autoritäten zu akzeptieren. Über die Jahre hat sich das Verhältnis zu seinem biologischen Vater Mason Sr. ebenfalls entwickelt: Er trifft ihn mit dessen neuer Familie und manchmal führen sie sogar „Männergespräche“.
Es ist besonders die Beiläufigkeit und Alltäglichkeit, die an »Boyhood« fasziniert. Bis auf eine plötzliche Flucht vor einem gewalttätigen Partner der Mutter spielen alle Szenen vor oder nach vermeintlich wichtigen Stationen im Leben: Einschulung, erster Kuss, Schulabschluss - sie finden in Masons Leben natürlich statt, aber nicht vor der Kamera. Um zu verstehen, was für ein Mensch Mason ist und wie er sich über die Jahre entwickelt, sind Streitigkeiten mit seiner großen, etwas divenhaften Schwester Samantha (gespielt von Linklaters Tochter Lorelei) oder die sich ändernden Gespräche mit seiner Mutter viel bedeutsamer.
Für die Einbettung in die Zeitgeschichte sorgen übrigens Popsongs, aktuelle Filmtitel und die jeweils angesagten Spielkonsolen, die ein durchschnittliches Kinderleben begleiten.
Petra Wille