20. April 2022

Solidarisch, politisch, glänzend

Es gilt den neuen Almodóvar zu besichtigen. Wieder hat sich ­Almodóvar seinem Lieblingsthema gewidmet, es geht um Frauen, die sich in einer Krise befinden.
Solidarisch, politisch, glänzend

Es gilt den neuen Almodóvar zu besichtigen, der deutsche Titel »Parallele Mütter« ist korrekt übersetzt, aber wie unvergleichlich klingt der Sound der Originalsprache: »Madres paralelas«. Wieder hat sich Almodóvar seinem Lieblingsthema gewidmet, es geht um Frauen, die sich in einer Krise befinden, diesmal sind es gleich drei: Zwei werdende Mütter, die Fotografin Janis (Penélope Cruz), etwa doppelt so alt wie die noch minderjährige Ana (Milena Smit) und die Schauspielerin Teresa (Aitana Sánchez-Gijón), Anas Mutter.

Die Frauen lernen sich auf der Entbindungsstation kennen, Janis spricht Ana auf dem Weg in den Kreißsaal Mut zu, Teresa gelingt das nicht, zu belastetet ist die Beziehung zu ihrer Tochter, zu sehr ist sie auf ihre Schauspielerinnenkarriere fixiert. Die Wege der drei so unterschiedlichen Charaktere kreuzen und trennen sich wieder, verweben sich schließlich. Einmal mehr und mit unverminderter Hingabe nimmt Pedro Almodóvar Solidargemeinschaften von Frauen in den Blick. Soweit, so typisch. Neu sind die konkreten Bezüge zur Vergangenheit Spaniens. Obgleich Almodóvar nie unpolitisch war, setzte er doch stets alternative Lebensentwürfe in Szene und hisste die Flagge für ein diverses progressives Dasein, vermied er andererseits eindeutige Positionierungen. Als die Franco-Diktatur 1975 endete, war  Almodóvar 26 Jahre alt. Vor kurzem hat er erstmals öffentlich gemacht, wie angstbesetzt seine Kindheit und Jugend durch die Folgen des Bürgerkriegs und das System Franco waren. Es ist also auch sein persönlicher Konflikt um Familie und Identität, den er in seinem neuen Film zur Sprache bringt.

In der Rahmenhandlung von »Madres paralelas« findet er mit der exemplarischen Öffnung eines Massengrabes, in dem Janis’ von den Falangisten ermordeter Urgroßvater liegt, erstmals Bilder für die unaufgearbeitete spanische Vergangenheit. Markiert der deutlich autofiktionale Film »Leid und Herrlichkeit« (»Gloria y Dolor«, 2019) den Beginn von Pedro Almodóvars Alterswerk, so geht er mit »Madres paralelas« einen unerwarteten Schritt weiter.

Die Geschichte ist einfach, die politische Botschaft fast plakativ vorgetragen, aber aufgefangen von der Ausdruckskraft der drei glänzenden Schauspielerinnen und der Virtuosität der Almodóvarschen Mittel. In Venedig gab es dafür die Coppa Volpi für Penelope Cruz. Die Bilder vibrieren, aufgeladen von der dichten Farbigkeit des Szenenbildners Antxon Gómez, die Almodóvars Filmen ihre unverwechselbare Ästhetik geben - sinnlich und prägnant und voller Lebensfreude.

Grit Dora

https://www.studiocanal.de/kino/parallele_muetter