18. März 2022

Likörchen oder Lakritz?

Kolumne – Im PK Ost den neuen Paul Thomas Anderson gucken
Likörchen oder Lakritz?

Es gilt »Licorice Pizza« besichtigen. Ich bin spät dran damit, es wurde schon so viel geschwärmt und wenig erzählt, auf jeden Fall tolle Atmo und die Kostüme erst! In meinem Kopf klemmt eine diffuse Erinnerung an das letzte Erlebnis mit einem Paul Thomas Anderson: »Inherent Vice« in der Schauburg, die anderen zwei Leute im Kinosaal schnarchten beizeiten, ich allein mit Joaquin Phoenix und Thomas Pynchon, insgesamt ein erfreulich nachhaltiger Trip. Der Scala-Saal im Ost wirkt ähnlich leer wie seinerzeit der Lang-Saal in der Schauburg, wenn auch aus anderen Gründen. Als ich die Maske absetze, ist die Werbung schon vorbei, los geht’s, schnell ist klar, die Sache mit der Atmo stimmt und der Soundtrack erst! Suzi Quatro muss man sich schon trauen. Es geht weiter mit David Bowie und Co, absolut makellose Hit-Perlenkette, aufgefädelt von Jonny Greenwood, der gerade mindestens drei Soundtracks in den Kinos hat.

Die etwas andere Liebesgeschichte um den fünfzehnjährigen Gary Valentine (was für ein Name!) und die zehn Jahre ältere Alana Kane nimmt Fahrt auf. Paul Thomas Anderson macht aus seiner Heimat, dem San Fernando Valley am Rand von Los Angeles im Jahr 1973, ein schönes Mäandertal, lässt sich viel Zeit beim Erzählen und geht, wie weiland Rotkäppchen, immer gern vom Weg ab. Im Märchenwald seiner Geschichte treten eine Reihe illustrer schräger Nebenfiguren auf, quasi historische Persönlichkeiten. Sie installieren das stets dankbare Filmindustrie-Thema Glamour und seine Nebenwirkungen. Allen voran Bradley Cooper, der dank schneeweißen Kostüms und unglaublich brünetter Perücke nichts spielen müsste, aber heftig austeilt. Er ist Jon Peters, Frisör, Produzent und Streisand-Liebhaber und es gehört zu den Vorzügen dieser Pizza, im Nachgang die skurrilen Typen in der Reihenfolge ihres Auftretens recherchieren zu wollen. Anderson ringt dem perfekten Glam der 1970er Jahre noch mal ein paar andere Aspekte ab. Sean Penn macht auch mit und spielt einen William-Holden-Verschnitt, natürlich sieht er gut aus. Tom Waits brabbelt etwas lauter als bei Jim Jarmusch und singt wieder nicht.

Das Liebespaar rennt durchs Valley, aufeinander zu, aneinander vorbei, wenn es nicht im gemeinschaftlichen LKW halsbrecherisch rückwärts Hügel hinab rollt. Der Tank ist leer, denn Politik der Zeit kommt auch vor, die Ölkrise etc. und es ist meist Alana, die lakonisch die Situation rettet. Das alles ganz kalifornisch entspannt, die Sonne scheint unentwegt, ach, die Atmo! Der Titel hingegen ist eine hübsche falsche Fährte, die ins Leere läuft, zum Plattenladen. Vor meinem inneren Auge wabert eh eine schrecklich farbenfröhliche Likörchen-Pizza. Schon klar, „Licorice“ heißt Lakritz, deshalb schreibe ich das zweite „c“ dauernd mit „z“, was bei der Online-Nachlese die Trefferquote verringert. Die Cineasten jedenfalls haben schon entschieden, dass »Licorice Pizza« der beste Film des Jahres ist. Sie haben die brillanten Kamerafahrten analysiert, die Newcomer Alana Haim (bekannt als Musikerin) und Cooper Hoffmann (Sohn des früh verstorbenen Ausnahmeschauspielers Philip Seymour Hoffman) bejubelt und immer wieder Regisseur Paul Thomas Andersons Bezüge zu Quentin Tarantinos »Once Upon a Time in Hollywood« hervorgehoben. Gigantisches Kontextmenü das. Und drei Oscar-Nominierungen! Vielleicht kriegt ihn der schon oft nominierte Anderson nun endlich für diesen exemplarischen Streifen über jugendlichen Größenwahn, über Verzweiflung und Selbstfindung, über ungerichtete jugendliche Energie, die so oder so ähnlich überall stattfindet, in L.A.wie in Priestewitz.

Grit Dora

http://www.upig.de/micro/licorice-pizza