21. Februar 2022

Viel Liebe. Zur Marke und zum Mann.

Ups, das war heftiges Kino – »House of Gucci«, Kritik, Pro & Contra
Viel Liebe. Zur Marke und zum Mann.

Pro

Eine junge Frau aus einfachen Verhältnissen heiratet den Sohn eines Modehauses und treibt ihn an, die inzwischen etwas tantig wirkende Marke zu reinszenieren. Das ganze mit überbordender Energie, rasendem Ehrgeiz und tatsächlich - viel Liebe. Zur Marke und zum Mann. Die mondäne Familie macht es ihr nicht leicht, aber niemand widersteht auf Dauer ihrer Durchschlagskraft. Als sich nach reichlich Aufbauarbeit, hinuntergeschluckten Demütigungen durch den Patriarchen der Familie und unschönen Ränken auf Kosten der Modeverwandtschaft der Erfolg und mit ihm die Steuerfahndung einstellt, spurt der reiche Erbe in eleganten Ski-Schwüngen in die Arme einer Jugendfreundin und lässt seine Frau sitzen. Sie rächt sich. 

Ridley Scotts neuer Film basiert auf Sara Gay Fordens Buch »The House of Gucci: A Sensational Story of Murder, Madness, Glamour, and Greed«. Dem großen alten Herrn des Kinos geht es dabei offensichtlich nicht um den Zerfall der Familie, oder die brisante Geschichte einer Ehe. Das finale Verbrechen ist nicht Kern des Filmes und auch der Rhythmus des Modezirkus, seine Strategien, die Entstehung von Kollektionen, die Präsentationen, interessieren ihn nur, soweit sie die Handlung vorantreiben.

Scotts Focus ist ganz und gar der Faszination gewidmet, die allein von diesem Namen, von der Marke ausgeht -  G u c c i. Lady Gaga spielt die irre Freude der Patricia Reggiani, ihren Stolz darauf, Patrizia Gucci zu heißen, den Rausch am gesellschaftlichen Aufstieg unwiderstehlich ansteckend und überzeugend. Adam Driver als Maurizio Gucci steigert diese Wirkung, in dem er sich durch die Szenen schweigt, elegant gewandet und riesig bebrillt - eine Augenweide. 

Das Overacting der einen und das Understatement des anderen erzeugen ein schönes Spannungsfeld. Ähnlich kontrastreich agieren Al Pacino und Jared Leto als Vater und Sohn Gucci. Leto, noch um ein paar Abgedrehtheitswindungen reicher als gewohnt, gibt den schrillen Modeclown, Al Pacino den Modepaten. Mafia findet zwar nicht statt, ist aber dennoch im Hinterkopf, weil man bei Pacino einfach nicht umhin kann, Mafia mitzudenken. Ridley Scott zitiert en masse klassische Filmeinstellungen und so ist »House of Gucci« vor allem ein Film über den Glamour des Kinos, der dem Publikum das Gefühl zu geben vermag, es sei Teil dieser glitzernden Welt. Dank der eleganten Bildregie und der superben Ausstattung vergehen die zweieinhalb Stunden, die er sich für seine Gucci-Operette nimmt, extrem kurzweilig. 

Grit Dora

 

Contra

Es ist wie im wahren Leben, es zählen: Marke, Marke und nochmals Marke. Die Klammer unserer modernen globalisierten Wirtschaft vereint Milliarden Konsumente und noch mehr Milliarden armen Schlucker, die sich kaum die tägliche Mahlzeit leisten können, unter dem Baldachin der entfesselten Wirtschaftskraft. Ob Mode, Computer, Autos – zahllose Markenartikel sind die Perlen der Börsen und treiben das Wachstum an. Jeder will dazugehören. Ähnlich im Kino, globalisierungsaffine Inszenierungen mit tollen Marken versprechen sprudelnde Einnahmen und öffentliche Wertschätzung.
Beste Voraussetzungen dafür bot das Skandalbuch über das europäische Juwel der Luxusindustrie „The House of Gucci“ von Sara Gay Forden. Ridley Scott verfilmt es für den amerikanischen Major und besetzt es mit einem hochkarätigem Ensemble: Größter Coup dabei – Lady GaGa und Al Pacino in den tragenden Rollen. An deren Seite dürfen Salma Hayek, Adam Driver, Jeremy Irons und Jared Leto u.v.a. glänzen. 

Die Geschichte wird mit den zwingend großen Brillen erzählt, eingebettet in stilvolle italienische Settings und in ein geheimnisvoll strahlendes New York City, dem neuen Mittelpunkt der Wirtschaft und Kultur. Denn wir reden von der Vergangenheit, vor über 40 Jahren wurden die Weichen für die Strahlkraft der Marke Gucci gestellt. Natürlich geht es dabei vor allem um die Abgründe und die großen Emotionen, um Liebe, Eifersucht, Reichtum, Hexerei, Intrigen und Mord, das volle Programm der menschlichen Komödie. Wunderbarer Stoff für das große Gesellschaftsdrama oder eine rauschende Groteske, wird es gar ein pralles und tiefschürfendes Drama über die Irrungen und Wirrungen der Menschen in historischen Umbruchphasen? Wenn gar Al Pacino mit an Bord ist, eine Art neuer »Der Pate« oder noch besser – ein neuer Macbeth?

Leider weit gefehlt, nach großartigem Beginn wird bald klar, hier wird die schnöde Geschichte eines Kriminalfalls erzählt. Recht unterhaltsam und schön in Reihenfolge gebracht aber nicht wirklich packend. Anfänglich schön komponierte Bilder und wunderbare Sets wechseln rasch zu viel Interieur und Großaufnahmen, es wird zunehmend bieder und erinnert zum Ende hin an eine bessere TV-Serie. Großartig ist die Eröffnungssequenz, der Kameraschwenk aus der Totalen auf den roten Alfa Romeo, hin zu Patrizias Ankunft im Transportunternehmen ihres Vaters. Später ist die Kamera sehr oft direkt an den Akteuren, nicht immer zum Vorteil von Lady GaGa und den anderen, die Körperlichkeit der Handkameraaufnahmen irritiert an vielen Stellen. 

Al Pacino kann seine Figur großartig ausspielen und lässt dabei die anderen recht alt aussehen. Nur Lady Gaga, eigentlich die Idealbesetzung als überdrehte aber sehr bodenständige Patrizia Reggiani und Jared Leto als richtig satt überspielte Karikatur von Paolo Gucci drehen den Inszenierungslevel Richtung Parodie. Leider sieht der Rest des Ensembles das etwas anders und hält tapfer mit klassischem Schauspiel dagegen. Dialoge häufen sich, bei denen ungewollt gelacht wird, vieles wirkt am Rande zur Operette.

Am Ende bleiben viele Fragen. Sahen wir hier eine missglückte Groteske, eine Satire oder einen Krimi? Ist das die bewusste Inszenierung eines Meisters oder hat Ridley Scott es einfach laufen lassen und war in Gedanken schon woanders? 

Entstanden ist eine bestens unstimmige, mit 158 Minuten auch zu lange Erzählung aus den so genannten wilden 1980er Jahre mit viel Glitzer, Pop und auch schönen Momenten. Wem das reicht, kann sich gut unterhalten lassen. Für den großen Wurf hat es leider nicht gereicht.

Mersaw