10. September 2021

Die grosse Lars und Devid Show oder...

...handelt es sich um einen diskussionswürdigen Film? »Nahschuss«, Kritik, Pro & Contra
Die grosse Lars und Devid Show oder...

Ist es schlicht die große Lars- und Devid-Show oder handelt es sich um einen sehenswerten und diskussionswürdigen Film? Unsere Autoren sehen das recht verschieden, wiedermal sollten oder müssen sich die Leser eine eigene Meinung bilden.

 

Pro

 

Was kann bei diesem Thema und der Besetzung schon schiefgehen? Eigentlich nicht viel, könnten wir vorlaut sagen, doch der Reihe nach. 

 

Entstanden ist ein emotional berührender Film über ein tragisches Einzelschicksal. Vermutlich ist es eher die Erzählung über die Abgründe der Todesstrafe als eine Analyse über das wie auch immer zu beschreibende System der DDR. Diese Geschichte ereignete sich und ereignet sich leider noch heute so oder ähnlich auf der Welt. Ein junger Mann voller hochfliegender Pläne lässt sich mit den bösen Buben ein. Sein moralischer Kompass lässt ihn rebellieren und nach, auch absurd scheinenden, Auswegen suchen. Dann passiert es. Er gerät in die gleichen Mühlen, an deren Rädern er vorher drehte. Am Ende aber steht ganz unsentimental, in seiner schlichten Grausamkeit, der Tod.

 

Franziska Stünkel inszeniert die von ihr verfasste Geschichte eher bruchstückhaft als eine lose Erinnerungsfolge aus einzelnen Episoden. Dies eröffnet ihr die Möglichkeit, ohne große Ausstattungsarien und Menschenmassen sehr emotional die Geschichte des Franz Walter bis zum wirklich bitteren und stark berührendem Ende zu erzählen. Die zwei Schlussszenen sind simpel aber so stark inszeniert, wie es selten zu erleben ist. 

 

Wunderbar gelöst ist die beiläufige Erzählung der vielen Details und Hintergründe. Hier wird nicht zugetextet und behauptet, stattdessen erzählen die Darstellern und die Bilder. Franziska Stünkel inszeniert im besten Sinne filmisch. Mit ihren Hauptdarstellern Lars Eidinger, Devid Striesow und Luise Heyer kann sie dabei natürlich auf eine unglaubliche darstellerische Performance zurückgreifen, die ihresgleichen im aktuellen deutschen Kino sucht. Das bereitet einfach Freunde. Lars Eidinger darf sich sogar zweimal nackt zeigen und Striesows diabolisches Spiel ist schlicht großartig. In dieser Bandbreite ist auch der Film erzählt: zwischen lakonischen Alltagsaufnahmen und derben, naturalistischen Momenten des Knastalltages. 

 

Hervorragend wird Franziska Stünkel dabei von der Kameraarbeit von Nikolai von Graevenitz unterstützt, immer nah dran an den Protagonisten, die Hintergründe meist unscharf, dazwischen die melancholischen Landschaftsbilder. Nur selten, wohl in den wichtigen Momenten, fokussiert das Bild auf die Personen im Hintergrund. Naturaufnahmen sind selten, dafür auffällig und eröffnen stimmungsvoll neue Abschnitte der Erzählung. 

 

Mag sein, dass die Montage aus Rückblende und Gegenwart nicht ganz zielgerichtet im Sinne der Spannung und Figurenentwicklung ist (gleich zu Beginn sehen wir Franz vor Gericht, das krasse Ende wird quasi vorweggenommen). Auch die etwas aufgesetzte Dramatisierung der Geschichte nach der Hälfte (Franz schleppt irgendwelche Mikrofilme aus seinem Büro nach Hause) erscheint nicht ganz nachvollziehbar. Der Verfall ihres Helden war bis dahin durchaus schlüssig und nachvollziehbar erzählt. Auch könnte die Figurenzeichnung detailreicher sein, denn so richtig viel erfahren wir über Beweggründe und Antriebe der beiden Helden nicht. Auch die Auswahl der Musik ist nur schwer erträglich (Karat und City dürfen nochmal ihre Hits darbieten); für das dargestellte Personal und den Zeitgeist wiederum erscheint das verständlich.

 

Die Kritik diskutiert den Film vorrangig als Erzählung über das grausame Regime der DDR. Die vielen Jahrestage legen es gewiss nahe. Mir erscheint das zu kurz gegriffen. Es ist – damit weitet der Film sein Blick über unsere Grenzen hinweg – eine Parabel über Gewalt in der Gesellschaft und deren staatlich legitimierte Gegengewalt, die sich anmaßt, Einzelne mit dem Tod zu bestrafen. Natürlich ist es dabei auch Kritik an Systemen, in denen sich alte Männer mit ihren überholten Ansichten und ohne Legitimation über das Leben hinwegsetzen und bestimmen wollen. Eine Zeit, die Gottseidank bei uns vorbei ist, eine Praxis, die in vielen Ländern der Welt aber durchaus noch gängig ist. 

Mersaw


Contra

Ein Mann, der ein verlockendes Angebot bekommt, das er nicht ausschlagen will, ein Mann, der mit Ehrgeiz bei der Arbeit ist, ein Mann, der begreift, dass er sich mit dieser Arbeit schuldig macht, und aus den Verstrickungen rauswill, ein Mann, der in eine ausweglose Situation gerät, die in sein Todesurteil mündet.

Anhand dieser Stationen versucht Regisseurin Franziska Stünkel den Weg des Stasi-Offiziers Dr. Werner Teske (Lars Eidinger als Franz Walter) lose nachzuzeichnen. Der künstlerische Zugriff ist persönlich und atmosphärisch dicht. Die Kamera (Nikolai von Graevenitz) umkreist Lars Eidinger, umkreist ihn, kommt ihm stets zu nahe, stellt und fängt ihn ein, schießt ihn ab, gibt sich übergriffig, distanzlos, übernimmt die Strategien des Systems, um das es hier geht. Das ist spannend anzuschauen. Eidinger schlüpft bis in die letzte Pore in seine Figur, vibrierend und sich verausgabend, liefert sich der Kamera aus und sorgt dennoch mit erstaunlichem Understatement dafür, dass seine Omnipräsenz fast nie nervt. 

Die Räume, in denen sich sein Franz Walter bewegt, sind dunkel, eng und stickig, halten die Menschen klein und in Abhängigkeit. Sie sind Sinnbilder des Unrechtsstaates und wollen zugleich um jeden Preis realistisch sein. DDR-Gardinen wehen, Liotards Schokoladenmädchen und der Peddigrohrspiegel in Walters Wohnung verbreiten Ost-Piefigkeit, bis zur letzten Zuckerdose wirkt alles original. Diese Detailgenauigkeit im Bild (Szenenbild Anke Osterloh, Kostümbild Ute Pfaffendorf) steht in seltsamen Kontrast zum vagen Plot. Weder erfährt man etwas über Franz Walters wissenschaftliche Arbeit, die doch der Motor für seinen Deal mit der Stasi ist, noch kann man die Blauäugigkeit nachvollziehen, mit der er sich auf das unmoralische Angebot einlässt. Auch die Nebenfiguren sind nicht näher gezeichnet, Walters Frau, seine Eltern, die Fußballkumpel bleiben blass, es gibt keinerlei Hintergrundinformationen, alles bleibt Bild, Oberfläche. Schade, weil es Stünkel gelungen ist, ein herausragendes Ensemble zu versammeln. Christian Redl und Hedi Kriegeskotte sind Walters Eltern, Luise Heyer ist seine Frau. Sie spielen glaubhaft die Verunsicherung angesichts der erst seltsam glückhaften, dann erschütternden Geschehnisse, haben aber keine Chance gegen ihre als Stasi-Personal antretenden Kollegen, allen voran Peter Benedict, Kai Wiesinger und vor allem David Striesow als Walters Führungsoffizier Dirk Hartmann, der ganz und gar mephistophelisch auftritt. Die Genossen dürfen diabolisch schillern. Dass der Staatssicherheitsdienst der DDR einmal mehr dämonisiert wird, ist der unerfreulichste Fakt an diesem Film. Wenn dessen Machenschaften wie Teufelswerk inszeniert werden, erscheinen die Auswirkungen gottgewollt und unausweichlich. Die Figur des Franz Walter wird damit mehr Opfer als Täter, ihr Handeln mehr Müssen als Wollen. So soll es also gewesen sein. Angesichts dieses Schicksals die eigene Courage zu befragen, wäre interessant. Genau das gibt der Film nicht her.  Franziska Stünkel zeigt keine glaubwürdige Gratwanderung, sie gibt eine Lesart vor.

Grit Dora

http://www.nahschuss-derfilm.de