9. April 2020

Ein gelungener Schwanengesang

Kritik, Pro & Contra - »The Gentlemen«
Ein gelungener Schwanengesang

Guy Ritchie erzählt mal wieder von Gangstern, die sich über Umwege böse in die Haare kriegen. Die Redaktion des Kinokalender Dresden bewertet das unterschiedlich.

 

Pro:

Zu Hause ist es doch immer noch am schönsten. Das weiß auch der britische Filmemacher Guy Ritchie, der einst mit »Bube, Dame, König, grAs« fulminant startete und seither mal mehr (»Sherlock Holmes«, »Aladdin«), mal weniger (»Stürmische Liebe«, »King Arthur: Legend of the Sword«) erfolgreich in Hollywood unterwegs ist. Zwischendrin kredenzt er dann hin und wieder einen Klon seines Debüts (»RocknRolla«), um seine Fanbase zufriedenzustellen und quasi mit links einen sicheren Hit zu landen. Und verdammt, es funktioniert auch dieses Mal wieder!

 

2020 trägt der Ritchie-Selbstläufer den Titel »The Gentlemen« und erzählt – was sonst – aus dem Alltag einiger Gangster, deren Wege sich meist gewaltsam kreuzen. Präsentiert wird der schwarzhumorige Spaß aus verschiedenen Perspektiven und im Matrjoschka-Prinzip, sodass das Publikum selten mehr weiß als die handelnden Figuren. Diese fluchen, prügeln und nuscheln sich durch die Geschichte und scheren sich wenig um politische Korrektheit. Ergo: Hier kriegt jeder sein Fett weg. Und Ritchie-Fans das, was sie (wahrscheinlich) erwarten.

 

Die kreative (Neu-)Leistung des Regisseurs liegt daher anderswo – im „Wie“ und im „mit Wem“ er seine Jungsphantasie kreiert. Für ersteres wählt Ritchie die Perspektive eines selbstverliebten Möchtegern-Drehbuchautors, der gleich zu Beginn ein wunderbares Loblied aufs Kinoformat anstimmt und am Ende im Büro eines Weinstein-Doppelgängers vorstellig wird, in dem ein Plakat von Ritchies »Codename U.N.C.L.E.« hängt – Chapeau! vor so viel Selbstironie, Mr. R.! Das „mit Wem“ jedoch ist das eigentliche Highlight: Matthew McConaughey, Charlie Hunman, Hugh Grant und vor allem Colin Farrell haben sichtlich Spaß an ihren Rollen (und Kostümen), mögen sie noch so dünnbrüstig gezeichnet sein.

 

Wer das nun alles ernst nimmt, dem Regisseur aufgrund einzelner Dialoge womöglich gar Verharmlosung von Rassismus und Homophobie vorwirft, bringt sich nicht nur um einen unterhaltsamen Kinoabend, sondern hält die präsentierte Polizeiarbeit im allsonntäglichen »Tatort« wahrscheinlich auch für Realität. Gewiss, nicht jedes benutzte Charakter-Klischee in »The Gentlemen« ist bloße Ironie. Aber wenn ein Drehbuchautor(!) als Erzähler fungiert, der zudem immer wieder erklärt, warum er welche Szene zu welchem Zweck in seine Story einbaut, so sollte jedem klar sein, dass er hier einen Film sieht, der sich seiner Künstlichkeit und Formelhaftigkeit durchaus bewusst ist. Er benutzt nur jene Bausteine, die sich in unzähligen gleichartigen Werken bereits als nützlich erwiesen haben, um belangloses Entertainment zu bieten. Insofern ist »The Gentlemen« in seiner Doppelbödigkeit vielleicht sogar Ritchies bisher bester »Bube, ... «-Klon – und ein gelungener Schwanengesang für dieses, von ihm stets so bravourös bedientes Genre.

Csaba Lázár

 

(Semi) Contra

Die Trauben hängen hoch. Die Trugdolden besser. Guy Ritchie, der, just for fun, zuletzt ein quietschbuntes Musical ablieferte, zog es wieder zurück zur Erwachsenenunterhaltung. Wo Gentleman Mickey (McConaughey) mit Zucht, Ernte und Vertrieb von Cannabis sativa seinen Broterwerb bestreitet. Doch nun ist er das frühe Aufstehen und Brötchen holen leid und hätte gern einen Nachfolger für seinen Gartenbaubetrieb. Mit allen Mitteln versuchen die potentiellen Käufer den Preis zu drücken, doch der König des Hanfdschungels verkauft nicht unter Wert. Guy Ritchie fädelt auf diese übersichtlich kurze Schnur seine Perlen, eine ganze Menge davon, lässt hier und da ein paar von ihnen wieder fallen, verknotet lose Enden, amputiert, erschießt oder schmeißt Leute vom Balkon und labert dabei endloses Zeug. Das fertige Geschmeide hängt er schließlich um den Hals des Zuschauers. Oder stopft es in dessen Ohr. Guy Ritchies Versuch, den oft kopierten, aber nie erreichten Guy Ritchie zu kopieren, wirkt bei aller darstellerischer Coolness, nüchtern und unlustig.

 

Verwirrend zu Beginn, gediegen im Mittelteil, doch in der Summe irgendwie das ganze schöne Tempo verschleppend, kommt Guy Ritchies Idee daher, mit dem vermeintlichen Drehbuchautor Fletcher (Grant) einen Narrator zu installieren. Der die Story bei einem 1500 £ Scotch vor- und zurückerzählt, der vom Kino schwärmt, Szenen verwirft, bereits hingerichtete Figuren nach dem zweiten Glas wieder zum Leben erweckt, der die anamorphotische Welt einer Serienglotze vorzieht und währenddessen beständig Gentleman Ray (Hunnam), den Consigliere des Marihuanabetriebes, sexuell anbaggert. Er hat alle Verhandlungen inkl. Kollateralschäden oder gezielter Tötungen ordentlich dokumentiert und möchte nun veröffentlichen. Oder kassieren. Seine Abkehr vom Journalismus hin zum Filmdrehbuch mit geänderten Namen würde Gentleman Mickey gerade mal 20 Mio Pfund kosten. Das ist Screenwriting auf ganz hohem Niveau. Wobei Guy Ritchie diese Metaebene bis zum Ende hin offen lässt und somit die Antwort auf die Frage, was war eher da; Drehbuch oder Deal, Schwein oder Diamant.

 

Und dann reihen sich wieder Szenen aneinander, denen die berühmte Guy Ritchie Kinetik komplett abgeht. Die vielleicht nicht aus dem Film gefallen sind, weil der ordentlich verworrene double double crossing plot sonst nicht erklärbar gewesen wäre. Nicht mal vom Erklärbär Fletcher. Womöglich saß mir aber auch nur das Corona-Virus im Nacken, in der letzten öffentlichen Vorstellung, ehe die Kinos schlossen, und ich hockte daher recht humorlos auf der Stuhlkante. Immerzu darauf wartend, dieser elegante Guy Ritchie Film möge endlich in Fahrt kommen. 

 

So sollte Gentleman Mickeys Abgang werden; elegant, doch aus dem Abgang wird nichts. Und die Eleganz? Die Entenfresser sind chinesisch, die Arschkriecher jüdisch und die Mongos verdammt idiotisch...  Kleider machen hier keine Leute. Zumindest treibt Gentleman Mickey am Ende elegant die Zinsen ein; 1 Pfund Fleisch und 270.00 Pfund Sterling, beides von Gentleman Matthew (Strong). Seine Plantagen behält er, weil sich alle Interessenten selbst diqualifiziert haben. Es scheint, als rühre das ganze Blutbad nur aus der Laune eines Möchtegern-Drehbuch-Verkäufers her, der in seiner Eigenschaft als Schmierfink allzu gern einmal eine Bonnie Situation (Tarantino), eine Mister Creosote Situation (Jones), eine Dialog Situation (Coppola), eine Shylock Situation (Shakespeare) und eine Frankie Four Fingers Situation (Ritchie) in eine Filmrolle (oops, in eine 4K Datei) packen wollte, wobei das selbstreferenzielle Schwein dieses Mal zum Zwecke der Zoophilie gecastet wurde. Brrr, Schweine unter sich. Zuerst beschnüffeln sie gegenseitig ihre intelektuellen Arschlöcher, dann lassen sie die Sau raus, ähm... ran.

Rollo Tomasi