12. März 2020

'ne Menge untertourige Gefühle

Kritik, Pro & Contra - »Jojo Rabbit«
'ne Menge untertourige Gefühle

Gelungene Satire oder einfach nur anderer Humor? Die Redaktion des Kinokalender Dresden ist sich uneins. Was war toll bzw. was störte nun eigentlich? 

Pro:

Ein Wunder namens Musik: »Ein verborgenes Leben«, der überaus sehenswerte aktuelle Film von Terrence Malick über den österreichischen Wehrdienstverweigerer Frank Jägerstätter, der 1943 von den Nazis hingerichtet wurde, beginnt mit Ausschnitten aus Leni Riefenstahls Propaganda-Dokumentarfilm »Triumph des Willens« (1935). Auch Regisseur Taika Waititi startet seine Satire »Jojo Rabbit« mit Bildern aus diesem historischen Werk – untermalt die Szenen aber frecherweise mit „Komm, gib mir deine Hand“ von The Beatles. Und siehe da: Was bei Malick ein zur Handlung passendes mulmiges Gefühl heraufbeschwört, sorgt in Waititis Version für lautes Gelächter. Mutig ist das – und ein erster Vorgeschmack auf den etwas anderen Humor des Neuseeländers.

Ist aber auch ein Minenfeld, dieses Genre der Kriegssatire. Nur Wenigen ist es bisher gelungen, angemessen und mit dem nötigen Respekt vor den unzähligen Opfern der Nazidiktatur dem ideologischen Wahnsinn etwas zum Schmunzeln zu entlocken. Chaplins »Der große Diktator« (1940) und Lubitschs »Sein oder Nichtsein« (1942) sind diesbezüglich zweifellos das Maß aller Dinge, aber ebenso »Das Leben ist schön« (1997) von Roberto Benigni verdient es, mit diesen beiden Klassikern genannt zu werden. (Noch) etwas unsicher, aber doch überzeugt, wage ich »Jojo Rabbit« in diesen erlesenen Kreis mit aufzunehmen. Denn dieser kleine Bastard aus Komödie/Drama/Slapstick/Unsinn wächst rückblickend mit jedem Tag mehr.

Klar, eine Wurst wie Hitler, oder besser Shitler zu parodieren, ist nicht schwer. Zu bekannt sind dessen Blicke, Gesten und Redensart, und das weiß Waititi, der Jojos (Roman Griffin Davis) imaginären Freund Adolf im Film gleich selbst spielt, auch punktgenau zu persiflieren. Der Irre mit dem Mini-Bart ist aber nur Nebensache (also genau das, was er immer hätte sein sollen). Das eigentliche Herzstück ist nämlich das zu Herzen gehende Aufwachsen (und Aufwachen) des titelgebenden Burschen, der sich im Jugendlager anfangs beinahe selbst in die Luft sprengt und dann erfahren muss, dass seine Mama (Scarlett Johansson) ein jüdisches Mädchen in der Wohnung versteckt. Fasziniert und überheblich zugleich, sucht Jojo den Kontakt und entdeckt dabei, dass dieser Mensch so gar nichts mit dem zu tun hat, was ihm bisher außerhalb seines Zuhauses über Juden erzählt wurde. 

Was lernen wir? Persönlicher Kontakt ist und bleibt der beste Weg, um Vorurteile abzubauen. Eine nicht minder starke Waffe gegen jegliche Art von Fanatismus ist Humor. »Jojo Rabbit« ist bepackt mit Szenen voller Situationskomik und einer Unmenge an Absurditäten, die zum Lachen einladen, ihre Inspiration jedoch aus belegbaren Alltagssituationen des „Dritten Reichs“ ziehen: Eine Erzieherin, die ihren Schützlingen kurz vor der Kapitulation Granaten zum „Endkampf“ in die Hand drückt. Nicht enden wollende „Heil Hitler!“-Begrüßungen zwischen Braunhemden. Oder ein Kaninchen, das zu Übungszwecken getötet und dann mit sportlicher Raffinesse weggekickt wird – treffender kann man Unwert „niederer Kreaturen“ aus dem Blickwinkel von Nationalsozialisten nicht bebildern.

„Tanzt, tanzt, sonst sind wir verloren!“ war Pina Bauschs Maxime. Jojos Mama sieht das ähnlich – und wir sollten es ihr, ebenso wie ihr Sohnemann, gleich tun. Am besten schon auf dem Weg ins Kino, um diesen tragikomischen, wundervollen und vielschichtigen Film noch einmal zu schauen.

Csaba Lázár

Contra

Was war das denn? Leicht irritiert verlasse ich den Kinosaal. Ein bisschen wie Achterbahnfahrt kommt es vor, was Taika Waititi da inszeniert hat. Wirkte es zur Mitte fast wie ein froh gelaunter Kinderfilm, wurde es dann tragisch, zum Ende hin gar trashig und ganz am Schluss sogar phrasisch- melancholisch. Denn nur das Tanzen stimmt uns wirklich froh und macht uns glücklich. 

Prinzipiell kann Taika Waititi natürlich nicht abgesprochen werden, eine solche ungewöhnliche Form zu wählen. Denn solche und noch viel schlimmere Dinge sind nun mal passiert, hier bei uns vor nunmehr ungefähr 75 Jahren. Die Wirklichkeit hat sich als schlimmste nicht annehmbare Fantasie erwiesen. Da kann jede Form der Erzählung, vor allem eine neue Perspektive, nur richtig sein.

Ob damit aber ein einzigartiges Filmkunstwerk entstanden ist, das mit Chaplins »Diktator« vergleichbar ist, wie viele Kritiker schreiben, darf aber auch bezweifelt werden. Letztlich entscheidet natürlich jeder Zuschauer für sich. Die Academy schien jedenfalls angetan und vergab einen Oscar. Auch an der Kinokasse macht der Film eine recht gute Figur (in den USA immerhin 32 Mio. $ Einspiel, bei uns bereits 190.000 Besucher, Tendenz steigend).

Gefallen haben mir auf alle Fälle die unorthodoxe Art, die scheinbar naive Sicht und das komödiantische Element. Wobei die Hitlerpersiflage nun nicht wirklich neu, dafür aber sehr lustig war. Die Besetzung war insbesondere mit Scarlett Johansson und Sam Rockwell sehr korrekt. Scarlett Johansson verpasste mit einfachen Mitteln der Figur der Mutter Tiefe und Leichtigkeit, Sam Rockwell liefert eine Riesenportion Coolness und ne Menge untertourige Gefühle ab. Nebenbei schenkte er uns sogar gefühlt eine der besten Szenen der Filmgeschichte. Sein Auftritt am Ende auf dem Trümmerberg in Wehrmachtsuniform, als Superheld kostümiert, mit der Waffe aus der Hüfte feuernd – einfach großartig. 

Was störte nun eigentlich? Die Inszenierung war unausgewogen. Wahrscheinlich war sich Waititi auch nicht sicher, in welche Richtung das Dramahäschen laufen sollte. So wurde aus einer Coming of Age Geschichte zu Beginn ein beseelter Kindernachmittagsfilm fürs ZDF, um dann brachial mit den auf dem Marktplatz aufgehängten Bürgern die Wirklichkeit einbrechen zu lassen, gefolgt von Kriegsgetümmel (das wiederum auch nicht wirklich fsk 16 war). Wenig von Vorteil für deutsche Zuschauer war auch das Setting. Recht bald war klar, dass die Handlung nicht unbedingt in einer deutschen Stadt spielt. Gut, für amerikanische Augen wirken sicherlich alle mitteleuropäischen Städte irgendwie alt und sehen gleich aus. Für den mitteleuropäischen Zuschauer entsteht eine emotionale Hürde. Aber gut, die Produktion fand in den Prager Filmstudios statt.

Klar müssen historische Ereignisse nicht korrekt erzählt werden. Jedoch fand der sogenannte Endkampf der Nazis ab Januar 1945 statt. Davor herrschte relative Normalität für den „normalen“ Bürger. Das galt natürlich nicht für Juden und andere Verfolgte. In diesem Zusammenhang sei erinnert, dass am 13. Februar 1945 die letzten Dresdener Juden für den Abtransport in die KZs eingesammelt wurden. Hier komme ich nun zur Hauptkritik am Film. Das Monströse aber gleichzeitig so normale jener Zeit kann natürlich mit Lächerlichkeiten wie einem Adolf H. auf Speed und putzigen Chargen der Gestapo zelebriert werden und es kann herzlich gelacht werden. Erkenntnisgewinn dabei dürfte jedoch null sein. Die damals handelnden Personen waren sehr wohl real, aus Fleisch und Blut, wirkmächtig dank bester Ausstattung mit Macht und Ressourcen. Und so kam es, dass viele nichts mehr zu lachen hatten. Insgesamt bezahlten ca. 65 Millionen Menschen (!), darunter mehr als die Hälfte Zivilisten, das mit ihrem Leben. So war das nun mal.

Mersaw

http://www.fox.de/jojo-rabbit