6. November 2018

Das hätte ich dem Bully gar nicht zugetraut.

Kritik zu »Ballon«
Das hätte ich dem Bully gar nicht zugetraut.

Vor ein paar Tagen rutschte Bundeskanzlerin Angela Merkel bei der Einheitsfeier die lobende Bemerkung „Das hätte ich Berlin gar nicht zugetraut“ raus. Thematisch passend paraphrasiere ich: „Das hätte ich dem Bully gar nicht zugetraut.“ Gemeint ist Michael „Bully“ Herbig, Faxenmacher, Schauspieler und Gelegenheitsregisseur, der als Strippenzieher hinter der Kamera mit dem Fluchtdrama »Ballon« erstmalig einen durchweg ernsthaften Film abliefert – und dabei durchweg überzeugt.

 

Er widmet sich darin der wahren Geschichte einer spektakulären Flucht (und einem zuvor misslungenen „illegalen Grenzübertritt“) zweier ostdeutscher Familien gen Westen im Jahr 1979. Die heimlichen Vorbereitungen, die beständige Furcht vor Entdeckung, der riskante Flug mitten in der Nacht – alles drin für einen packenden Thriller, den Bully formidabel und temporeich inszeniert. Auf der einen Seite: die Fluchtwilligen, die vierköpfige Familie Strelzyk und die Neueltern Petra und Günter Wetzel. Auf der Gegenseite: Stasi-Oberstleutnant Seidel.

 

Und Bully hat offenbar von den Besten seines Fachs gelernt: Ja, Seidel ist der Antagonist und für seine Untergebenen „kein Tag am Strand“, wie es so schön heißt. Aber er ist eben auch ein intelligenter Kopf à la Hans Landa (Christoph Waltz in Tarantinos »Inglourious Basterds«), der differenziert auf seinen Arbeitgeber blickt und scheinbar weniger im Sozialismus als vielmehr in der kriminalistischen Arbeit seine Erfüllung findet. Ein richtig guter Bösewicht also.

 

Bei so einem Platzhirsch bleibt erfahrungsgemäß wenig Zeit für alle anderen. So bläht/bläst Bully seinen »Ballon« zwar auf über zwei Stunden Laufzeit auf, die Gründe für den Fluchtwunsch beider Familien bleiben jedoch im Verborgenen. Und das ist tatsächlich ein Problem: Denn wer gleich zwei Mal so viel Energie, Zeit und Mut in die Planungen setzt, muss einiges erlitten haben. Hätte gerne gewusst, was. Nur ein Mal überkommen Mama Strelzyk Zweifel, ob eine solche Unternehmung ihren Kindern zuzumuten ist und ob es sich wirklich lohnt. Vielleicht doch in der DDR bleiben? Trotz der zahlreichen Entbehrungen? Zwar benennt »Ballon« die Defizite nicht genau, hier und da sind kleine Bestandsaufnahmen aus dem Alltag aber zu entdecken.

 

Vor allem offenbar für westdeutsches Publikum, das den Autor dieser Zeilen (ein Exil-Dresdner in Franken) nach dem gemeinsamen Filmgenuss mit allerhand Fragen löcherte, die besonders auf das konstante Unbehagen aufgrund möglicher Bespitzelung abzielten, was »Ballon« sehr treffend beschreibt. Vielleicht wäre da eine Doppel-Kinovorstellung zusammen mit Dresens »Gunderman« empfehlenswert, bietet das Musikerporträt doch einen interessanten alternativen Blick auf das Leben im Arbeiter-und-Bauern-Staat. Und das deutsche Kino. Denn während Bullys Werk die hollywoodeske Form bevorzugt, geht es Dresen dokumentarischer an. Sehenswert sind sie beide!

 

Csaba Lázár

http://www.studiocanal.de/kino/ballon