2. November 2018

Ein abgefahrenes Hotel

Kritik, Pro & Contra »Bad Times at the El Royale« - Gaanz ganz großes Kino! Aber warum führt der Regisseur seine zwei Happy-End-Figuren nicht nach Reno hin, zum Soul?
Ein abgefahrenes Hotel

Pro

Ein abgefahrenes Hotel in der Einöde, genau auf der Grenze zwischen Nevada und Kalifornien, ein einziger Page, der verspätet auftaucht, weil er grad am Drücken ist und vier Gäste, von denen einer auf dubiose Weise noch zwei weitere im Schlepptau hat. Sieben Menschen im Hotel also, an denen Regisseur Drew Goddard auf eigenwillige Weise vorführt, dass auch 90 Jahre nach Erscheinen des inzwischen sprichwörtlichen Romans von Vicky Baum ein Gästehaus mit entsprechender Aura ein sehr geeigneter Platz ist, um psychische Abgründe, gesellschaftlich bedingte Deformationen und mehr oder minder gestörte Verhältnisse zur Realität auf schillernde Weise in Szene zu setzen.

Das verstaubte, ehemals mondäne Setting der End1960er lässt im Verein mit Kommentaren zum Zeitgeschehen mehr als berechtigte Paranoia aufkommen. Anspielungen auf Monroe, J.F. Kennedy etc. lassen die ganze verschwörungstheoretische Kiste aufgehen. John Hamm etwa gibt einen verdeckt ermittelnden, als Staubsaugervertreter getarnten Bullen mit grausam überzeugendem Schwafelcharme und installiert mit nervtötendem Dampfgeplauder den Alltagsrassismus der Zeit. Parallelen zur Gegenwart sind selbstverständlich rein zufällig und schon in dieser Anfangsszene zeigt Goddard, was er als Drehbuchautor auf dem Kasten hat. Die Atmosphäre ist ... irgendwie ungemütlich und man ahnt, dass es unangenehm werden könnte, aber nicht, wie sehr.

Die Gäste lernen sich notgedrungen kennen, das Hotel zeigt bald seine gruseligen Eingeweide – ein perfides Überwachungssystem  – und im beeindruckend gewalttätigen Finale beginnt der  milchgesichtige Page (Lewis Pullman) angesichts des Todes von den grauseligen Dingen zu schwatzen, die er daselbst schon gesehen und aufgezeichnet hat und bittet dringlichst um Erlösung. Da möchte man selbst Father Daniel Flynn (Jeff Bridges) anrufen, weil alles, was hier verhandelt wird, besser unausgesprochen bliebe und  - Oh Lord! – nicht gehört werden sollte. Auch weil hier alle so wahnsinnig unerlöst wirken, die Zuschauer inbegriffen. Goddard sorgt dafür, dass die Kinostühle heiß werden. Relativ schnell nach dem introduzierenden Geplänkel in der Hotellobby entfesselt er mit einem wahnsinnig eleganten, peitschenden Schnitt eine Gewaltorgie; einen amerikanischen Albtraum, der nur bei Quentin Tarantino und David Lynch auf ähnlich makabre Weise durchschlägt. Beide zitiert Goddard reichlich, wirkt aber seinen Figuren menschlich zugetaner oder aber sentimentaler – das liegt ganz im Auge der Betrachtenden. Bildästhetisch und dramaturgisch jedenfalls ist er voll auf Augenhöhe. Sein Blutrausch tut weh und ist weniger Selbstzweck als bei Tarantino. 

Die erstklassige Besetzung, die sorgsam mit Hintergrundgeschichte ausgestatteten Figuren fesseln – Dakota Johnson und Cailee Spaeny als Schwesternpaar, das eher wortkarg, aber um so blutiger agiert; seelisch immer unter der Knute des vor Hybris platzenden Sektenführers, gespielt von Chris Hemsworth, der mit ultra-tief sitzenden Hüfthosen und sehr freiem Oberkörper einen sehr schönen Auftritt hinlegt. Nass ist immer sexy, Drew Goddard dreht den Spieß mit der Fleischbeschau einfach um. Cool. Abgesehen vom Gendertwist an der Körperfront, führt er die Männer auch als Labertaschen vor, nur Jeff Bridges hat mit seinen typisch knappen Nuschelbemerkungen die Nase etwas weiter vorn.

Die eigentlichen Helden sind die Frauen. Ein großartiger Coup ist die Besetzung von Cynthia Erivo als Sängerin Darlene Sweet. (Danke, dass uns Beyonce erspart blieb!) Erivos spröder Charme, ihre Menschlichkeit, ihre fantastische Stimme machen sie zur Lichtgestalt des Filmes. Ganz ohne Pathos, denn sie ist die am meisten erniedrigte und desillusionierte Figur. Und so sagt sie denn dem sichtbar um seine Männlichkeit zappelnden Charles Manson-Verschnitt Billy Lee (Chris Hemsworth spielt ihn auch ganz großartig würdelos) kurz vor seinem Ende: "Ich bin gelangweilt von Männern wie dir. Ich würde lieber dem Regen zuhören." 

Gaanz ganz großes Kino!

Grit Dora

 

Contra

Fast meint man zu sehen, wie das Rat Pack um Regisseur Drew Goddard aus der Premiere von »The Hateful Eight« kommt und sich die Ideen wie Bälle zuwirft. Lasst uns sieben Charaktere an einem Ort zusammen führen, lasst uns eine Juke Box füllen, Grenzen überschreiten und in jeden Kofferraum eine Leiche stecken. Okay, die Leichen kommen später, aber alle sind irgendwie auf der Flucht. Wovor? Eine Stunde Geduld, das kriegen wir später. Hauptsache, alle lügen sich erst einmal die Taschen voll. Oh warte..., nicht alle flunkern; die Story braucht einen Engel, gefallen, charmant, und selbst am meisten vom Leben belogen. Und wenn zum Schluss alles in Flammen aufgeht, passt auch der Call-It-Friendo-Teufel noch rein... Der brennen muss in der Hölle, während der Engel mit den Taschen voller Geld raus marschiert. Und lasst uns nicht vergessen, auch eine fette Version von »Hold On, I'm Comin'« für den Soundtrack zu produzieren, die es mit Welshly Arms Country-Stomper aufnehmen kann. 

 

Drew Goddard versammelt für seinen zweiten Film ein halbes Dutzend großartiger Einfälle, wählt als Inspiration für den Ort des Geschehens das ehemalige, mafiös verstrickte Cal Neva Resort, ein sehr dubioses Zwei-Staaten-Hotel, (Bob Kennedy ließ Frank Sinatra hier Marilyn Monroe verstecken) und eröffnet sein Kammerspiel etwas steif mit einem falschen Priester (Jeff Bridges als dementer Schatzsucher), einem falschen Staubsaugervertreter (Jon Hamm als glückloser FBI-Agent) und einer echten Sängerin (Cynthia Erivo als Engel auf der Durchreise). Nachdem sie ein paar Seiten Drehbuchtext abgearbeitet haben, benutzt Goddard eine falsche Entführung (Dakota Johnson & Cailee Spaeny als entbehrliche Schwestern) und ein doppelt verwanztes Perversen-Hotel (Lewis Pullman als beicht-fertiger Portier), um die Handlung bis zu der Frage zu treiben: Nehm ich das Geld jetzt und renne weg, oder nehm ich das Geld nicht und renne weg? Bis dahin doppeln sich gelegentlich Dialoge mit Songtexten oder bildhafte Spiegelungen legen sich über gedachte Brechungen und halten somit unzählige Auswege offen, über die der Film sich hätte entwickeln können. Hippie-Braut und Soul-Diva könnten einander erkennen, der Priester hätte dem Portier beichten oder der Polizist ermitteln können, wer hier die Spione ausspioniert. Der hemdsärmelige Charles-Manson-Verschnitt (Chris Hemsworth als schlecht zugeknöpfter Sektenführer) hätte die Spiegel-Ladung Schrot abbekommen können. Und die Tatsache, dass in den Räumen des symmetrisch auf der Grenze zwischen Nevada und Kalifornien geteilten Hotels außer unterschiedlichen Preisen auch verschiedene Gesetze gelten, hätte einen flotten Drehbuchtwist erzeugen können. 

 

Statt dessen schweifen nur die Gedanken ab; Gelegenheit liefert der Film. Jede Figur schleppt sich durch Flashback-Sequenzen, deren Inhalt auch hier gut mit einem Blick in die Kamera und da anhand von zwei, drei Halbsätzen lieferbar wäre. Mit Ausnahme des Xavier Nolan-Cameo als übergriffigen Studio-Boss, ohne den Cynthia Erivo weniger Leinwandzeit gehabt hätte, ihre großartige Stimme unter Beweis zu stellen. Ja, schwelgen ist Goddards Passion. Nie wieder möchte man einen Film außerhalb der frühen Siebziger sehen. Da hatte man noch Zeit, eine Telefonzelle zu suchen, während sich die Nadel auf die Platte senkte. Unglücklicherweise fühlen sich die ersten neunzig Minuten an wie eine Persiflage auf jene Hans-Landa-Gelassenheit, mit der sich Tarantino-Helden bereits 1992 über Kellnerinnentrinkgelder unterhielten. Mitunter möchte man den Figuren zurufen, lies schneller, schieß schneller, gieß schneller. Der Regisseur, der das hört, beendet die quälende Lobby-Unterhaltung über Vergebung, abrupt und brutal. Schön...; das Publikum springt aus den Sitzen, aber warum führt Goddard diesen Effekt eigentlich zweimal vor? Warum geraten ihm die kleinen Aufsätze über Vietnam, Kapitalismus und die #metoo Debatte derart belehrend? Und warum lässt er nicht Beichte Beichte sein, Blutgeld Blutgeld, und führt seine zwei Happy-End-Figuren gereinigt und mit leeren Händen aus dem Fegefeuer? Nach Reno hin, zum Soul?

Rollo Tomasi

http://www.fox.de/bad-times-at-the-el-royale