25. Oktober 2018

Netflix oder Notflix?

Fakt ist, wer Filme liebt, kann nie zu viele davon sehen.
Netflix oder Notflix?

Die erste Berührung mit Streamingdiensten hatte ich 2015. Netflix zeigte die Keith Richards Doku »Under the Influence«, und als echter Stones-Fan machte ein Testmonat für mich absolut Sinn. Nur so zum Testen, denn Streamen an sich sagte mir nicht zu. Ende 2015 brachte dann Amazon Prime »The Man in the High Castle« auf den deutschen Markt. Dieser fürchterlichen Vorstellung, was gewesen wäre, hätten die Nazis den Zweiten Weltkrieg gewonnen, konnte ich mich nach dem „kurz Reinschnuppern“ nicht entziehen. Binnen Tagen hatte ich die komplette Staffel geschafft und meine erste ermüdende und zugleich doch so befriedigende Erfahrung mit Binge-Watching gemacht. Drei Jahre später und die Streaming-Abos sind nicht mehr wegzudenken. Welch eine Erleichterung ist das auf Auslands-Arbeitseinsätzen: Nach getaner Arbeit den Laptop an, Tee oder Wein zur Hand und es ist wurscht, wo ich in der Welt bin. Home is where my Netflix ist. 

 

Waren Netflix und Amazon Prime für mich lange Serien-Plattformen, war das spätestens vorbei, als die Netflix-Produktion »Ikarus« den Dokumentarfilm-Oscar gewann oder Jim Jarmusch die Amazon-Produktion »Paterson« in die Kinos brachte. Und nun räumte »Roma« (Foto) in Venedig ab. Heißt das, dass ich gar nicht mehr ins Kino gehen muss? Sondern ganz entspannt von der Couch aus oder im Bett die besten Filme des Jahres schauen kann? Werden Filme jetzt dafür gemacht? 

 

Es folgt – Wutgedanken im Kino: Alles klebt. Warum müssen immer die neben mir Nachos essen? Kam da gerade ein Popcorn geflogen? Hör auf zu husten! Mist, es zieht kühl an den Füßen. Mein Po tut weh. Wieso geht der Typ JETZT auf Toilette? Ich hab so gar keine Lust, nachher noch nach Hause zu fahren. Ganz schön viel Geld für so einen Ärger…

 

Es folgt – Liebesgedanken im Kino: Gleich geht es los, gleich geht es los! Ach guck, diesen Film muss ich mir merken – toller Trailer! Irre, dieser Sound. Geil, so was wirkt auch nur auf Großbildleinwand! Fetzt irgendwie viel mehr, wenn alle mitlachen. Super Stimmung, gefällt mir! Wetten, die da vor mir weint auch? Hach, so schön, man will gleich tiefer in den Sessel sinken. Was für ein Abend! Ganz schön wenig Geld für solch eine Unterhaltung…

 

Fakt ist, wer Filme liebt, kann nie zu viele davon sehen. Faul auf dem Sofa lungern ist eine wunderschöne Ergänzung zum „tief in den Kinosessel sinken“. War es schon immer. Damals auch, zu langweiligen TV-Zeiten. Und wenn Netflix und Co. mittlerweile dafür sorgen, dass beeindruckende Produktionen das Licht der Welt erblicken, die es sonst nie auf die Leinwand geschafft hätten, dann kann das doch nur gut sein. So wird es auch in Zukunft nie nur unsere Entscheidung sein, was wir wo in den ersten Tagen nach Release schauen wollen. Die Entscheidung wird viel früher getroffen. Denn so lange nicht jeder Mr. Iñárrituscorsesespielberg seine Filme für die Tabletgröße konzipieren will, wird es sensationelles Kino in klebrigen, beeindruckenden Kinosälen geben. Und zugleich wird es für uns alle eine Erleichterung sein zu wissen, dass daheim ein Film wie »Roma« oder »Paterson« wartet, während das Kino gerade nur »Fifty Shades of Fuck You Hangover« bringt… Dafür danke, Netflix.

Viktoria Franke