28. November 2017

Es muss nicht immer Arthouse-Kaviar sein

Pro & Contra »The Big Sick«
Es muss nicht immer Arthouse-Kaviar sein

Festivalhit? Kritikerliebling? Meisterwerk? Die Redaktion des Kinokalender Dresden ist sich uneins.

Pro:

Ein pakistanisch-stämmischer Comedian verliebt sich in eine amerikanische Psychologiestudentin. Hindernisse tun sich auf: Die traditionsbewussten pakistanischen Eltern, die auf einer arrangierten Ehe mit einer Landsmännin bestehen, eine plötzliche schwere Krankheit und die Unbegeisterheit der amerikanischen Eltern über den Exfreund der komatösen Tochter.

Was für ein abenteuerlich oder auch einfach nur klischeeüberladen klingender Plot! Wunderbarerweise geht  »The Big Sick« nicht den nahe liegenden Weg in die romantische Sackgasse, sondern schwenkt geschickt vom Culture Clash zum Drama – dem des individuellen Umgangs mit einer lebensbedrohlichen Situation und dem des universellen Leidens an der Liebe.

Auf beeindruckend unspektakuläre Weise zeigt Regisseur Michael Showalter, wie Verliebtheit den Alltag durchsonnen kann und welch aberwitzige Gefahren ihr zusetzen. Die größte Gefahr geht dabei nicht von Krankheit und Tod sondern von der Familie aus. Showalter umkreist, wie alle nur denkbaren Probleme in diversen familiären Konstellationen ausgetragen oder auch nicht ausgetragen, auf jeden Fall aber nicht ohne weiteres bewältigt werden. Er lässt seinem Ensemble dabei erstaunlich viel Raum und Zeit, die Figuren zu entwickeln. Das kann für Sekundenbruchteile langweilen, macht aber auch die Lebensnähe des Filmes aus. Alle geben sich unwahrscheinlich viel Mühe, alles richtig zu machen, alle versuchen flexibel zu sein, sich anzupassen, aufeinander einzugehen… diese unspektakulären Figuren mit ihrem Bemühen, Scheitern und Weitersuchen haben ein irres Identifikationspotenzial. Dabei sind sie durchaus nicht so vordergründig witzig, wie man es von einer Komödie erwartet – und das ist ein weiteres Plus des Filmes.

»The Big Sick« wirbt auf gelegentlich vielleicht zu schlichte Weise für Toleranz, für das einfache irgendwie Miteinanderauskommen im banalen Alltag. Denn das hinzukriegen ist ja schon ziemlich viel, weil hey – Liebe nicht einfach ist. Diesen eigentlich unaussprechlichen Flachsatz kann nur ein so versierter Schauspielertyp wie Ray Romano glaubhaft rüberbringen. Ob der Film tatsächlich auf einer wahren Geschichte beruht (der des Hauptdarstellers und Coautors und seiner Drehbuchautorin und Ehefrau), ist nur marketingstrategisch relevant. Interessanter fand ich es, meine halbwüchsigen Kinder zu befragen. Für sie ist »The Big Sick« ganz klar ein Oscaranwärter (was ich etwas übertrieben finde). Aber so die JuniorInnen: Comedy ist großartig, Familie toll und Problemlösung super – vor allem, wenn irgendwann auch die verknöchertsten Eltern mitbekommen, dass sie loslassen sollen und dürfen. 

Also super Film, super Ensembleleistung, super Laune. Es muss nicht immer Arthouse-Kaviar sein.

Grit Dora


Contra:

Wenn es noch einen Beweis gebraucht hat, dass der Autor dieser Zeilen ein griesgrämiger, humorloser und unsensibler Zeitgenosse ist, so hat ihn »The Big Sick« ein für allemal erbracht. Nach intensiver Suche mit Blickrichtung Leinwand wurde nix entdeckt, was die unzähligen Lobhudeleien im Vorfeld rechtfertigen würde. Von einem unterhaltsamen, witzigen und romantischen Film war da die Rede, der frech gesellschaftliche Vorurteile und streitbare Familientraditionen auf die Schippe nähme und zudem das große Talent des aus Pakistan stammenden Comedians Kumail Nanjiani zeige. Habe ich womöglich nur die Outtakes der Dreharbeiten gesehen?

Nach mehrstündiger Reflexion und einem Übermaß an zugeführtem Zucker in Schokoladenform ergeben sich nur zwei halbwegs nachvollziehbare Gründe für das kollektive Bejubeln dieser US-„Komödie“: (a) Die englischsprachige Originalversion bietet mehr Wortwitz, und (b) keiner will die auf wahren Ereignissen und Personen beruhende tragikomische Geschichte böse niederschreiben. Und ja, es ist eine süßsaure Begebenheit, die Hauptdarsteller Nanjiani und seiner heutigen Frau Emily einst widerfahren ist: Der Verliebte verheimlicht seiner amerikanischen Herzdame den Wunsch seiner Eltern, eine arrangierte Ehe mit einer Pakistani einzugehen. Als Emily davon erfährt, stürmt sie wütend davon – und liegt kurz darauf komatös im Krankenhaus. Er weicht ihr trotz vorheriger Trennung nicht von der Seite und freundet sich so nach und nach mit Emilys Eltern an. Der große Knall im traditionsbewussten Zuhause lässt nicht lange auf sich warten.

Ein untrügliches Zeichen für eine misslungene Komödie sind Gags, die nicht nur nicht zünden, sondern von den Figuren im Nachhinein erklärt werden müssen. Das geschieht in »The Big Sick« erschreckend oft. Wer so wenig Vertrauen in seine Pointen hat, sollte dringend über einen Jobwechsel nachdenken. Ganz so wie Nanjiani und seine Kollegen, die sich im Film auf einer Bühne als Stand-up-Comedians versuchen. Ähnlich einer TV-Sitcom wird hierbei ständig das Lachen ihres Publikums eingeblendet, damit der Kinozuschauer auch weiß, an welcher Stelle er mitkichern muss. Ebenso bescheuert: Der Film liefert an einer Stelle zunächst die Punchline und erst später das notwendige Vorwissen dazu (Stichwort: „Akte X“). Überhaupt wirkt »The Big Sick« in großen Teilen improvisiert. Damit so was Früchte trägt, sollte das dabei Gesagte jedoch entweder für die Handlung zielführend sein oder zumindest eine Szene humoristisch kommentieren. Wie es nicht funktioniert, zeigt so ziemlich jede Szene mit Emilys Papa.

Bliebe noch die ernsthafte Seite der Geschichte: Hier versemmelt das Drehbuch jede Chance, althergebrachte Traditionen im pakistanischen Elternhaus mit Nachdruck zu hinterfragen. Zwar rebelliert Sohnemann gegen die Hochzeitspläne seiner Eltern, am Ende gehen sie jedoch nicht unbedingt im Frieden auseinander. Ergo: Die Fronten bleiben bestehen, Problem nicht gelöst.

Aber Hauptsache, es ist auch ein Fäkalien-Witz dabei: Emilys nächtlicher Fluchtversuch aus der WG ihres Freundes, damit sie im Coffeeshop nebenan in Ruhe „kacken“ gehen kann, dauert ganze fünf Minuten (inklusive Nachbesprechung vor dem Haus). Ja, eindeutig: »The Big Sick« ist die Komödie des Jahres. Gähn.

Csaba Lázár

 

http://www.thebigsick-film.de