27. Februar 2017

Sag ja oder die beliebtesten Junkies der 90er sind zurück!

Pro & Contra – »T2 Trainspotting«
Die beliebtesten Junkies der 90er sind zurück! Nicht jeder kann begeistert rufen "Sag Ja!".

Pro:
20 Jahre ist es nun schon her, als uns der Junkie Renton (Ewan McGregor) seinen Blick auf die Welt präsentierte: „Sag ja zum Leben, sag ja zum Job, sag ja zur Karriere, sag ja zur Familie. Sag ja zu einem pervers großen Fernseher. Sag ja zu Waschmaschinen, Autos, CD-Playern und elektrischen Dosenöffnern. Sag ja zur Gesundheit, niedrigem Cholesterinspiegel und Zahnzusatzversicherung … Aber warum sollte ich das machen?“ Das fragte ich mich damals im Alter von 16 ebenso. Inzwischen weiß ich, dass einiges davon ganz angenehm und nützlich sein kann. Und siehe da: Sogar Renton und seine Clique sind (halbwegs) erwachsen geworden und versuchen, mehr oder minder erfolgreich, von der Nadel loszukommen.

Dass viel schief gehen kann, wenn ein Kultfilm eine späte Fortsetzung hinterher geschmissen bekommt, weiß der leidgeprüfte Cineast nur zu gut. Erinnert sich noch jemand an den letzten Auftritt von Indiana Jones (»… und das Königreich des Kristallschädels«, 2008)? Zu Recht in Vergessenheit geraten, und das trotz Mitwirkung von Originalregisseur und Originaldarsteller Original-Steven Spielberg und Original-Harrison Ford. Oscar-Preisträger Danny Boyle, der 1996 Teil eins auf die Menschheit losließ, tat bisher gut daran, keinem seiner Filme ein Sequel in Eigenregie anzudichten. Nun also »T2«?!

Selbe Autoren, selber Regisseur, selbe Darsteller. Selber Film? Denkste! Vielmehr ein melancholischer Nachruf auf den Vorgänger. Viele Zitate, viele bekannte Gesichter, ein Musikschnipsel hier, ein widerliches Kneipen-Klo dort und mittendrin die Junkies von einst, die zwar „ja zum Leben“ aber nicht „ja zur Karriere“ gesagt haben. Ab und an gönnt Boyle seinem Publikum zwar einen Rückfall ins Schnittstakkato à la 1996, stellt seine Helden in dieselbe Szenerie oder adaptiert einen sehr bekannten Monolog. Die meiste Spielzeit jedoch geht es gediegener und reflektierter zu – zumindest, bis die menschliche Handgranate Begbie (Robert Carlyle) auftaucht, der mit Renton noch eine Rechnung offen hat. Dazwischen versuchen die Freunde, ein semi-legales Sauna-Etablissement zum Laufen zu bringen. Von einer öden, misslungenen Kopie ist »T2« aber so weit entfernt wie der BER von einer pünktlichen Eröffnung.

»Trainspotting« 20 Jahre später ist weder öde, misslungen noch kopiert. Deprimierend ehrlich passt besser. Eine Art Kater nach dem Rausch der vergangenen (Jugend-)Tage. „Der Nachteil, mit Fixen aufzuhören war, dass ich meinen Freunden jetzt wieder im Zustand völliger geistiger Klarheit begegnen musste. ... Es war übel. ... Sie erinnerten mich so sehr an mich selbst, dass ich ihren Anblick kaum ertragen konnte“, gab Renton damals zu Protokoll. Das nennt man „Realität“, Kumpel! Kannst halt genauso wie wir vor der Leinwand nicht für immer die coole Sau bleiben, die nicht erwachsen werden will. Aber hey, auch die Gegenwart kann Spaß machen! Zum Beispiel im Kino. Mit diesem Film. Sag ja zur »T2«!*

* Und/Oder zur österreichischen Komödie »Was hat uns bloß so ruiniert«, die das Leben von Mitt-Dreißigern, die sich vor dem Spießer-Sein fürchten, grandios eingefangen hat.

Csaba Lázár

Contra
Ja, die Junkies aus Edinburgh sind zurück und es ist schön, dass Danny Boyle diesen Film dann doch noch gemacht hat. Er hat es sich ja sehr lange sehr gut überlegt. Zwanzig Jahre später noch mal das Originalteam ranzuholen ist auch keine kleine Leistung. Einen Ersatz-Begbie etwa hätte auch keiner hingenommen.

»T2« ist schon toll, weil er trotz aller gelungenen Selbstzitate kein Wiedergänger des Kultfilms von 1996, sondern etwas ganz Eigenes geworden ist. Trotzdem – und auch das ist gut – springt die 1990er Jahre Kiste sofort auf. Neben Bildern der jungen »Trainspotting«-Personage tauchen auf der inneren Festplatte auf: Uma Thurman und John Travolta in »Pulp Fiction«, Helena Bonham Carter, Edward Norton und Brad Pitt in »Fight Club«, Patricia Arquette und Christian Slater in »True Romance« und Juliette Lewis, Woody Harrelson und Robert Downey Junior in »Natural Born Killers«. (Liste nach persönlichem Geschmack beliebig ergänz- oder sonstwie veränderbar.)
Wer in den 1990ern noch zu klein war und jetzt nicht auf so alte Filme steht, kriegt auch kein Problem, denn T2 funktioniert auch ohne »Trainspotting«-Basiswissen. Freunde der 1980er – ob selbst erlebt oder retro-infiziert ¬- kommen auch auf ihre Kosten. Wie Begbie (Robert Carlyle) zu Frankie Goes to Hollywoods “Relax” in Fahrt kommt, ist Schauspielkunst plus Ironie pur. Überhaupt Robert Carlyle. Ein Schauspieler, der den Psycho und Brutalo so gefährlich und differenziert zugleich zu spielen vermag, dass er auch in Begbies finstersten Momenten Mitgefühl weckt. Und Hochspannung pur. Also bitte keinen Tod für Begbie, aber auf jeden Fall Sicherungsverwahrung. Wenn Boyle Robert Carlyle mit dem Hammer die “Sauna”-Spiegelkammer durchlöchern lässt, in der sich Renton (Ewan McGregor) vor ihm versteckt und sein Kopf mit diesem irren Grinsen in der Öffnung auftaucht – selbst the unbelieveable Jack Nicholson war in »Shining« nicht dämonisch-heiterer.

Und da wir grad bei Filmzitaten sind. Die Bulgarin Veronika (Anjela Nedyalkova), die für Sick Boy (Johnny Lee Miller, inzwischen mit ziemlich hoher Stirn) nun ja, “anschafft” – ein etwas unklares Verhältnis das - trägt Uma Thurmans moderat aktualisierten »Pulp Fiction«-Cut. Es macht wirklich Spaß zu sehen, wie Boyle mit Filmzitaten jongliert. Weniger lustig ist die Frage, warum die einzige wesentliche Frau in der Herrenrunde halb so alt ist wie die Männerriege und mit klarer Herkunftsangabe als Osteuropäerin die Nutte mit Herz, etwas Köpfchen und allen anderen einschlägigen Attributen spielt - einschließlich des im Heimatland zurückgelassenen Kindes. Was ist denn das jetzt für ein hübsch frisiertes Altherrenstatement? Und so ironiefrei. In der einzig witzigen, weil mit dem Altersunterschied offensiv umgehenden Szene mit der Beauty erklären Sick Boy und Renton Veronika die 1980er, berauschen sich an ihrer Nostalgie und sich selbst.
Veronika gähnt.

Zwei weitere Frauen tauchen als Randfiguren auf, die Jugendlieben von Renton und Spud (the one and only Ewen Bremner, der als ewig heroinabhängiger Publikumsliebling mit Option auf ein Happy End inszeniert ist). Die heimischen Frauen sind als Heldinnen des Alltags inszeniert, was die Osteuropa-Frage eher noch verschärft.

Ein Wort noch zu Renton. Niemand verkörpert so perfekt wie Ewan Mc Gregor den Mann ohne Eigenschaften – eine einzigartige Projektionsfläche für das Leiden am durchschnittlichen Dasein. Seine Figur stellt die Frage nach dem Bild, das man von sich hat und wie man dem nicht entspricht, wie man am Selbstbild scheitert. Er will Cowboy, Mafioso oder Teufel sein, obwohl der Versuch einfach in die Hose gehen muss, weil er dieses durchschnittliche gefahrlose Dasein mit seinen absurden Begleiterscheinungen führt, die Renton wieder als großes “Sag ja!” auf den Punkt bringt. Sag ja zum durchregulierten mitteleuropäischen Leben… Dass die vier Jungs sich auch in ihren Mittvierzigern immer noch nicht darauf einlassen wollen oder können, darauf besteht Boyle. Es gibt kein furioses Finale, es wird einfach weitergewurstelt, und wie er das knapp zusammenfasst, geht schon sehr in Ordnung.

Grit Dora

http://www.t2trainspotting.de