Bibliothèque Pascal

Drama, Ungarn/Deutschland/Großbritannien 2010, 114 min

Ein Besuch auf dem Sozialamt: Mona will das Sorgerecht für ihre Tochter wieder erhalten; Die Kleine wurde von der Großtante benutzt, um Geld zu beschaffen. Nun muss Mona alles erzählen: wie sie den Vater ihrer Tochter kennen lernte, was sie in England gemacht hat. Die Wahrheit ist zu banal und gleichzeitig zu schrecklich, um einfach erzählt zu werden. Die Version für den Sachbearbeiter enthält Menschen, die ihre Träume in den Himmel projizieren und Männer, die - im Sand vergraben - die große Liebe sind. Vor allem geht es um ein unfassbar bizarres Etablissement: die Bibliothéque Pascal. Hier fährt ein Mann auf einem hohen Einrad herum, er ist eine Mischung aus Zirkusdirektor, Zuhälter und Bildungsbürger - und er führt ein Bordell für Literaturphantasien.
Das Verstörende und Faszinierende an dieser ungarisch-deutschen Produktion ist der Gegensatz, der höchst kunstvoll aufgebaut wird. Denn Grausamkeiten und Verbrechen werden nicht als sozialkritisches Kino á la Ken Loach behandelt. Nur die Rahmenhandlung, bei der die Osteuropäerin Mona dem Beamten gegenüber sitzt, dem sie eine glaubhafte Geschichte erzählen soll, ist realistisch inszeniert. Ansonsten wird ein fantasievolles Märchen präsentiert - die Geschichte erzielt dadurch ungleich mehr Wirkung.
Das Grauen der Zwangsprostitution und des Menschenhandels werden als knallbunte und absurde Geschichte erzählt. Und doch ist klar, dass solche Edelbordelle zur Befriedigung exklusiver Gelüste von Menschen mit viel Geld tatsächlich existieren. Die unfreiwillige Reise, die Mona unternimmt oder auf die sie geschickt wird, ist überhöht und dadurch entsteht eine faszinierende Mischung aus grausamer Geschichte und gelungener Ästhetik. Bei der BERLINALE sorgte der Film für übervolle Kinosäle, hoffentlich findet er auch im regulären Kinobetrieb sein Publikum.
Petra Wille
Petra Wille