Das zweite Leben des Monsieur Manesquier

Drama, Frankreich/Deutschland/Großbritannien/Schweiz 2002, 90 min

Einmal im Leben jemand anderes sein, das ist die Ausgangsüberlegung für Patrice Lecontes Film »Das zweite Leben des Monsieur Manesquier«. Die Suche nach Kopfschmerztabletten führt zwei unterschiedliche Männer an einem herbstlichen Abend zusammen. Der allein in einem mit antikem Gerümpel ausstaffierten Haus wohnende pensionierte Lehrer Manesquier gewährt dem offensichtlichen Gangster Milan Quartier. Beide stellen für sich fest, wie gerne sie ein anderes Leben geführt hätten. In den drei Tagen ihres Zusammenseins erlaubt Regisseur Leconte ihnen, dieser Sehnsucht Ausdruck zu verleihen. Gemeinsam rauchen und trinken sie, erzählen sich Dinge aus ihrem Leben, oft solche, die auf ein vertrauensvolles Verhältnis zueinander schließen lassen, sind doch offene Worte über die Einstellung zu Frauen oder erste sexuelle Erfahrungen dabei. Der etwas ältere Manesquier wünscht sich vom erstaunten Friseur plötzlich einen Haarschnitt, den er mit „zwischen eben aus dem Knast entlassen und großer Fußballstar“ beschreibt. Der Fremde mit dem Gestus der Halbwelt fragt zögernd nach Hauspantoffeln, um einmal in die Schuhe eines aufgeräumten bürgerlichen Lebens zu schlüpfen, er stopft sich eine Pfeife und erteilt einem Nachhilfeschüler Manesquiers Unterricht in französischer Literatur. Dass er nie in seinem Leben Balzac gelesen hat, ist dem Erfolg der Lektion keinesfalls abträglich - auch er hat schließlich Lebenserfahrung. Herrlich sind daher die existenzialistischen Gespräche der beiden für ein paar Tage zusammenlebenden Männer. Voller komischer Momente stecken sie, Frage und Antwort sind oft auf eine paradoxe Weise aneinander geknüpft.
So einfach die Geschichte dieser kurzzeitigen Männerfreundschaft auch ist, die beiden großartigen Darsteller Jean Rochefort und Johnny Hallyday verleihen ihr Tiefe. Raffiniert gelöst ist dabei der ihre Auftritte begleitende Einsatz bestimmter Licht- und Tonverhältnisse. Ist Milan alleine im Bild, erklingt ein cooler Ry-Cooder-Sound und die Farben gehen ins eher kühlere Blau, bei Manesquier dominiert Klaviermusik bei bräunlichen Farbtönen. Treffen beide zusammen, vermischen und überlagern sich diese Zutaten.
Dann, an einem Samstag morgen Punkt 10 Uhr, kommt für beide die Stunde der Wahrheit: der eine zieht wie geplant seinen Coup durch, der andere unterzieht sich der notwendigen Herzoperation. Als ob beide doch nur eine Figur gewesen wären, tickt die Uhr des Lebens nun synchron. Am Ende dieses oft geheimnisvollen und mysteriösen und auch voller poetischer Momente steckenden Films werden nicht alle Fragen beantwortet, zumindest nicht eindeutig.
Thomas Volkmann