TRAILER

Lindenberg! Mach dein Ding

Drama, Deutschland 2020, 135 min

Na, das scheint ja wohl gerade sehr en vouge zu sein, das Leben berühmter Musiker zu verfilmen, die sich in der Welt der Popular- und Rockmusik einen unauslöschlichen Namen gemacht haben. Gerade war »Bohemian Rhapsody« mein letztes Biopic-Erlebnis, wie der polyglott weltgewandte Mann so sagen würde. Bis auf das Freddie Mercury in Echtheit wesentlich betont männlicher daherkam, hatte Rami Malek alles gegeben. Schönes Ding! Ein schönes Ding war für den DDR-Fan auch Udo Lindenbergs Auftritt 1983 im Palast der Republik, den ich damals gespannt am Televisionsfernseher mitverfolgte. Natürlich saß im Palast kein einziger wirklicher Fan, stattdessen Blauhemd gewandete FDJler. Bereits bei der ersten Nummer nahm er einen Schluck aus der Margonwasserflasche, um sich diese sogleich ans Ohr zu halten und so zu tun, als würde das Sprudelwasser direkt durch seinen Kopf und aus seinem Mund flutschen. Platsch landete der Schwapp auf heilig sozialistischer Bühne. Was für eine coole Ungeheuerlichkeit, die für mich fast den selben Stellenwert hatte, als hätte ich während der Sonntagsmesse vor den Altar gepinkelt. Dabei blieb es aber nicht, in seiner kurzen Rede, die das DDR-Fernsehen wie den ganzen Abend mit einstündiger Verzögerung, jedoch unzensiert sendete, hatte er noch einen kleinen Coup gelandet. „Von deutschem Boden darf nie wieder ein Krieg ausgehen“ - da war ihm auch von den SEDlern ungeteilter Beifall sicher, der nachfolgende Aufruf ließ dann aber den Genossen den Atem stocken. „Weg mit allem Raketenschrott in der Bundesrepublik und in der DDR. Nirgendwo wollen wir auch nur eine einzige Rakete sehen: Keine Pershings und keine SS-20.“ Peng, das saß und auch die Aufkündigung seines Vertrages für eine DDR-Tour.
Nun nahm sich Regisseurin Hermine Huntgeburth (»Die weiße Massai«) 37 Jahre nach diesem Ereignis Udos Lebensgeschichte an und steckte Neuentdeckung Jan Bülow in die Rolle des Gronauer Nuschelheimers, der ihn mit unglaublicher Wucht und Eigenständigkeit darzustellen vermag. Herausgekommen ist die Geschichte eines Mannes, der sich so ziemlich durch jeden Dreck kämpfte und nach jeder Niederlage immer wieder, wie eine sowjetische Stehaufwackelpüppi „Newaljaschka“ aufstand. Nach ersten und beachteten Auftritten sowie Einspielungen als sehr talentierter Schlagzeuger, unter anderem bei Klaus Doldingers „Passport“, wo er auch auf dem ersten Album, sowie Doldingers Titelmusik zum „Tatort“ 1970 als Drummer zu hören ist, versuchte er sich 1971 selbst als Protagonist. Aber erst seine dritte LP „Alles klar auf der Andrea Doria“ brachte den lang ersehnten künstlerischen und auch finanziellen Durchbruch. Udo hatte definitiv in der Bundesrepublik eine Vorreiterrolle als Rockmusiker, der gegen einen damals vorherrschenden Trend deutsche Texte sang und im Unterschied zu „Ton Steine Scherben“ nicht ganz so dolle Politisches aufs Tapet brachte und mit seinen Themen trotzdem erfolgreich wurde. In der DDR herrschte natürlich eine Situation, die mit der in der Bundesrepublik nicht vergleichbar war und Bands wie die Puhdys ganz andere Basen hatten, in ihrer Muttersprache zu singen. Udo und die Puhdys säten einst die Saat, die mit Rammstein zu voller populärer Blüte gelangte. Schönes Ding!
Ray van Zeschau (Mehrblütler)