Agnes

Drama, Deutschland 2015, 105 min

Eine Liebesgeschichte wie eine Versuchsanordnung. Er (Stephan Kampwirth, als ein entfernter Verwandter von Walter Faber) im gehobenen Alter, Schriftsteller ohne Inspirationen, sie (Odine Johne, erhielt den Max Ophüls Preis als Beste Darstellerin), eine junge, wilde Physikstudentin, die ihr Quantum Liebe genauestens unter die Lupe nimmt. Bald nachdem sie sich lieben gelernt haben, macht Agnes dem erstaunten Walter einen seltsamen Vorschlag; er möge ihre Geschichte doch niederschreiben. Wenn er sonst nichts zu schreiben hat außer seiner langweiligen Sachbücher. Gemeinsam könnten sie ja dann Kapitel für Kapitel rezensieren. Und schauen, ob ihre Geschichte etwas taugt. Eine hübsche Idee, sie stammt aus der Feder von Peter Stamm und gehört zum Gymnasialschulstoff, denn sie deckt gleich mehrere Fächer ab. Rekursive Literatur offenbart Philosophisches und führt zu praktischen Fragen der Physik und wieder zurück zur Ethik. Wie viel eigenes Sterben birgt die Liebe, wie viel Fremdheit die Nähe? Walter schreibt alles auf, was bisher geschah. Da streiten sie bereits über Formulierungen oder Empfindungen. Bald kommt er an den Punkt, wo er morgens vor einem weißen Blatt sitzt und sich fragt, was heute passieren wird. Und dann überschreitet er diese Linie. Ursache und Ergebnis tauschen die Plätze. Agnes zieht bei ihm ein, weil sie die Idee im Text gelesen hat. Ihre Meinungsverschiedenheiten, die allen Paaren den Alltag erschweren, begeben sich nun auf eine Metaebene. Entspringen ihre Intentionen noch der empfundenen Liebe zueinander, oder sehnen sie sich nach einer spannenderen Geschichte? Agnes wird schwanger. Hat er ihr ein Kind in den Bauch geschrieben, obwohl er keines wollte? Hat sie es bald darauf verloren aufgrund dieses Zwiespaltes, und ist es eine gute Idee, dass Agnes im Roman das Kind behält und zur Welt bringt? Nein, sie werden kein glückliches Paar. Das steht zu Beginn schon fest. Regisseur Johannes Schmid übernimmt Peter Stamms einleitende Offenbarung von Agnes' Freitod im Schnee. Aber beide lassen offen, ob da nur Walters literarisches Geschöpf starb, oder ob Agnes wirklich ihrer Romanfigur auf diesem bitteren Weg gefolgt ist.
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